Muss alte Sprache bereinigt werden oder darf sie frei und dynamisch bleiben, fragt Nicole Isermann in ihrem Blogparaden-Aufruf. Ich dachte, die Antwort darauf wird kurz – ein lapidares Nein. Alte Sprache und vor allem alte literarische oder historische Texte sollen auf gar keinen Fall bereinigt oder verändert werden. Aber stimmt das wirklich?
Die Beschäftigung mit diesem Thema hat für mich mehr Fragen als Antworten gebracht. Teilweise habe ich mich gefühlt, wie im Treibsand zu versinken und immer tiefer hineinzugeraten.
Sind die Antworten, die ich (61-jährige Frau mit Universitätsabschluss, die in Vor-Internetzeiten groß geworden ist und sich immer für Geschichte interessiert hat) mir selbst gebe, richtig für die junge Generation oder korrekt für die Generation meiner Eltern? Richtig für Menschen ohne formelle Bildung? Richtig für Menschen mit formeller Bildung, aber ohne Herzensbildung? Richtig für Menschen mit Migrationshintergrund?
Wenn ich einen historischen Roman lese, in dem Antisemitismus in einem Dialog offen zur Schau gestellt wird, denke ich daran, wie diese tief liegenden Ressentiments zur Shoa geführt haben und wie aktiv sie selbst heute noch sind. Weil sie immer noch so normal klingen.
Was aber denken sich z.B. Jugendliche, die aufgrund ihres Alters weit weniger Lebenserfahrung haben und ihre Weltsicht vielleicht hauptsächlich auf Tik-Tok und anderen Social-Media-Plattformen finden? Fühlen sie sich bestärkt in ihren antisemitischen oder rassistischen Ansichten? Sollten wir für diese junge Generation die alten Texte ändern? Zu jedem dieser Texte einen Kommentar verfassen?
Provokativ gefragt: Wozu eigentlich?
Wir leben in einer Zeit, in der wir von Fake News, tendenziösen Nachrichten und Verschwörungsgeschichten geflutet werden. Das ist zwar kein neues Phänomen, aber heute haben wir die Machwerke und den Hass in Sekundenschnelle auf unseren Bildschirmen. Immer und jederzeit. Ein Shitstorm jagt den nächsten.
Während wir noch akademisch über den Negerkönig in Pipi Langstrumpf diskutieren und ob es richtig war, die Töchter in der österreichischen Bundeshymne aufzunehmen, verbreiten sich abgrundtief falsche und hasstriefende Texte in rasender Geschwindigkeit. Sprechen Kinder im Kindergartenalter schon eine Sprache, die uns schockieren sollte.
Neger und Juden
Zwei Beispiele von vielen.
Agatha Christie (1890 – 1976)
Ten little nigger boys went out to dine;
Frank Green, 1869
One choked his little self, and then there were nine.
Agatha Christie hat diesen Kinderreim als Basis für ihren weltberühmten Krimi Ten little niggers (1939) hergenommen. Im deutschen Sprachraum hatte das Buch bis 1985 den unverfänglichen Titel Letztes Weekend. Dann erfolgte eine Neuübersetzung – diesmal mit dem Titel Zehn kleine Negerlein.
Ein umstrittener Titel, wie sich herausstellen sollte, denn 2002 kam der Fall vor die Antidiskriminierungsstelle in Hannover. Diese Institution ruhte nicht, bis die Erben der Queen of Crime zustimmten, dass sowohl ein geplantes Theaterstück als auch die Neuauflage des Krimis mit dem Titel Und dann gab’s keines mehr auf den Markt kommen sollte.
Auch der englische Originaltitel brachte immer wieder Zores mit sich. Er wurde von Ten little Niggers auf Ten little Indians und dann auf And then there were none umbenannt. Nigger Island, wo die Geschichte spielt, wurde schlussendlich in Soldier Island umbenannt und die Ten little Niggers/Indians wurden zu Ten little Soldiers.
Auch die Passage über einen geldgierigen Juden mit thick semitic lips, wurde entfernt.
There had been a very faint smile on the thick Semitic lips
Agatha Christie: Captain Lombard talking about Jews in Ten little Niggers
of Mr. Morris … Damn the smooth little brute, he had smiled.
Was sollen wir heute mit literarischen Texten, wie diesen, tun? Sie so lange säubern, bis sie politisch korrekt sind? War Agatha Christie eine Rassistin oder Antisemitin oder Chronistin ihrer Zeit, die scharfzüngig mit ihren Krimifiguren die britische Upperclass porträtierte? Ich tendiere zu letzterer Version. Die Captain Lombards ihrer Zeit sprachen damals diese Sprache – und die war oft antisemitisch und rassistisch geprägt und voll von Standesdünkel.
Wenn wir alte Texte von allen unschönen Begriffen säubern und unseren heutigen Vorstellungen anpassen, dann verlieren wir auch ein Stück Zeitgeschichte. Wir bekommen langweilige und weichgespülte Charaktere, die von Ecken und Kanten befreit sind. Wir lernen nichts, wenn Begriffe einfach nur verschwinden.
Franz Grillparzer (1791 – 1872)
Ein Beispiel ungefilterter Abneigung für alles andere, erkennt man deutlich beim Hypochonder und Dichter Franz Grillparzer, im Brotberuf Direktor des k.u.k. Hofarchivs in Wien. Bildungsreisen waren im Großbürgertum sehr populär und der studierte und gebildete Jurist Grillparzer hat seine Erlebnisse in Tagebüchern festgehalten.
Zugutehalten kann man Grillparzer, dass diese Texte nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Publiziert wurden sie aus seinem Nachlass erst ab den 1970er Jahren und sie sind online im Gutenberg Projekt verfügbar.
Im August 1826 reist er nach Deutschland.
Ich beginne diese Reise mit einem eigenen unangenehmen Vorgefühle. Im Wagen ein Kaufmann aus Wien und zwei Juden. Höchst unangenehm.
In Prag merkt er an:
In der Judenstadt gewesen. Schmutz, Schmutz, Schmutz! Man begreift, warum dieses Volk keine Schweine isst.
Auch in Dresden gefällt es ihm nicht. Eigentlich gefällt es ihm nirgends.
Drääsden. Die Sprache dieser Leute beleidigt mein Ohr. Sie ist unmännlich, geckenhaft, wie von und für Kopflose.
Im August 1843 begibt er sich nach Griechenland und besteigt in Bulgarien ein Schiff.
Das Dampfboot hat sich indes mit Türken, Bulgaren, Juden und Jüdinnen samt Familie gefüllt, sodass wir einer türkischen Kolonie gleichen.
In Konstantinopel (heute Istanbul) geht er auf einen Markt, der ihm – wie nicht anders zu erwarten – nicht gefällt.
Besah mir den schändlichen Handel. Die Ware bestand aber bloß aus Negern. Ein hübscher Knabe wurde eben herumgeführt und um 1200 Piaster feilgeboten. Der Bube schien gar nicht betrübt und folgte ungezwungen dem Ausrufer. Der größte Teil Weiber, d. h. Mädchen. Wenige hübsche. Eine sah nicht übel aus und blickte mich an, als wollte sie mich zu einem Gebot auffordern. Das Abscheuliche war in seiner Einförmigkeit bloß widerlich.
Ich finde diese Texte deshalb so interessant und auch wichtig, weil man – besonders bei Grillparzers offenen Antisemitismus – sieht, wie komplett durchdrungen die damalige Gesellschaft – selbst das gebildete Bürgertum – davon war. Wie normal das war. Und wie wegbereitend für das Dritte Reich. Was man auch sieht, dass die viel beschworene Bildung wenig gegen Vorurteile ausrichten kann.
Mit dem Finger auf alte literarische Texte zu zeigen, sich über einzelne Wörter zu empören und zu verlangen, dass diese ausradiert werden, ist zu wenig. Genauso, wie es nicht reicht, an Gedenktagen ergreifenden Reden über ermordete Juden und Jüdinnen zu halten. Oder sich über die Sklaverei der Kolonialstaaten wortreich zu empören.
Wichtig ist, wer wir heute sind und wie wir heute agieren. Jede und jeder von uns. Machen wir es uns nicht zu bequem, indem wir gemütlich am Sofa sitzend betroffen auf die Vergangenheit zurückblicken und meinen, das war damals und wir wären heute besser und gebildeter. Wir würden die Göbbel’sche Propaganda durchschauen. Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 sollten wir wissen, dass es nicht so ist.
Aktuelle Umfragen zu Antisemitismus (genaue Daten siehe Link) zeichnen ein düsteres Bild.
Zur Verdeutlichung: Der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Österreich liegt bei 0,1 %, davon lebt der überwiegende Großteil in Wien.
Dennoch glauben 19 % der Befragten (Umfragezeitpunkt: Oktober und November 2022), dass Juden in Österreich zu viel Einfluss hätten. Ebenfalls 19 % meinen, dass sie zumindest teilweise selbst schuld an den historischen Verfolgungen wären.
Wenn wir sehen, wie antisemitische Übergriffe seit dem 7. Oktober 2023 rasant in die Höhe geschnellt sind, dann bin ich davon überzeugt, dass eine neuerliche Umfrage noch weitaus bedenklichere Werte zeigen würde.
Märchen und Erzählungen für Kinder
Ein schwarzer König – Melchior
Eine immer noch sehr populäre Weihnachtsgeschichte stammt vom österreichischen Dichter Karl Heinrich Waggerl (1897 – 1973). Protagonist der kurzen Erzählung ist Melchior, der Mohr unten den Heiligen Drei Königen.
Baumlang und Tintenschwarz wird er beschrieben – und zum König in seinem Heimatland erhoben. Nicht, weil er aus nobler Familie stammt, sondern weil er noch schwärzer als die anderen Schwarzen ist. Wird das Jesuskind weinen, wenn es den furchterregenden Kerl mit den rollenden Augen und dem fürchterlichen Gebiss sieht? Der kein Fleckchen Weiß an sich hat? Nein!
Über die Maßen glücklich war der schwarze König! Nie zuvor hatte er so großartig die Augen gerollt und die Zähne gebleckt von einem Ohr zum andern. Melchior konnte nicht anders, er musste die Füße des Kindes umfassen und alle seine Zehen küssen, wie es im Mohrenlande Brauch war. Als er aber die Hände wieder löste, sah er das Wunder: Sie waren innen weiß geworden! Und seither haben alle Mohren helle Handflächen, geht nur hin und seht es und grüßt sie brüderlich.
Karl Heinrich Waggerl: Warum der schwarze König Melchior so froh wurde
Soll man heutzutage so eine Geschichte seinen Kindern vorlesen? Das Happy End der Erzählung hinterlässt bei mir einen seltsamen Nachgeschmack. Bei meinem erwachsenen Ich; als Kind war ich mit Melchior über den wundervollen Ausgang der Geschichte glücklich.
In meiner Kindheit gab es auch Negerbrot (heute: Schokotraum Erdnuss), Negerküsse (heute: Schaum- oder Schokoküsse) und Mohr im Hemd (heute: Schoko-Nuss-Kuchen mit Schlagsahne). Heute würde ich diese Begriffe nicht mehr verwenden.
Dennoch ist es m. M. nach wichtig, über die sprachliche und gesellschaftliche Entwicklung und Verknüpfung Bescheid zu wissen, denn nur so erkennen wir, wie tief in uns allen noch immer alte Vorurteile verfestigt sind. Und nur so können wir – hoffentlich – auch ein wenig aus der Geschichte lernen und sehen, wie eng Sprache und Gesellschaft verwoben sind.
Märchen der Gebrüder Grimm
Auch wenn das viele glauben und bekrönte und kusswütige Deko-Frösche viele Gärten bevölkern: Die Prinzessin küsst den Frosch nicht. Vielmehr ist sie wütend, weil der garstige Frosch sie vom Schlafen abhält.
Da wurde sie bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn mit aller Kraft gegen die Wand: Nun wirst du Ruhe geben, du garstiger Frosch!
Gebrüder Grimm: Der Froschkönig
Im Gegensatz zu Texten mit problematischen Begriffen enthalten die Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen viel Gewalt und sehr viel Schuldzuweisungen an Frauen. Es wimmelt nur so von bösen Hexen, bösen Feen, bösen Stiefmüttern und bösen Stiefschwestern.
Obwohl jede Kriminalstatistik eine komplett andere Sprache spricht und in allen Gefängnissen weltweit die schweren Straftäter zu mindestens 80 % männlich sind, werden in den Märchen die Frauen als die Schuldigen und die Bösen angesehen und als böse Frauen hart bestraft.
Anders gefragt: Wo waren die Väter des Schneewittchens und des Aschenputtels? Außer Ignoranz und Inaktivität haben sie in den Märchen wenig zu bieten. Warum retten sie ihre Töchter nicht?
Die Grimm’schen Märchen zeigen ein Gesellschaftsbild, das auch heute noch Frauen als Rabenmütter und Schuldige abstempelt, wenn etwas nicht so glatt läuft. Die Frauen in böse Alte und in wunderschöne junge Prinzessinnen aufteilt – und nichts dazwischen.
Die Grimm’schen Märchen wird es weiterhin geben und ich nehme an, dass Kinder sie weiterhin lieben werden. Aber hoffentlich entstehen zusätzlich auch neue Märchen, die nicht ausschließlich das klassische Klischee und Nonplusultra der heilen Vater-Mutter-Kind-Erzählung bedienen und die Frauen als die Schuldigen darstellen, wenn dieses Klischee Kratzer bekommt.
Biblische Texte
Brüder in den christlichen Urgemeinden
Etwas, das hingenommen wurde und teilweise noch immer wird, war bzw. ist die Dominanz der maskulinen Form in religiösen Texten und damit einhergehend die maskuline Sichtweise. An vielen Stellen im Neuen Testament werden nur die Brüder angesprochen. Von Frauen ist meist nur die Rede, wenn es ums Sündigen oder um die Jungfrauengeburt geht.
Frauen durften und dürfen sich mitgemeint fühlen. Es sei denn, sie werden explizit aufgefordert, zu schweigen – dann bringt man auch das Wort Frau über die Lippen.
Im erzkatholischen Oberösterreich von 1956 (als meine Eltern heirateten), war es noch gang und gäbe, dass die Frau im Ehegelöbnis versprach, ihrem Mann zu gehorchen – und genau so war das Leben der Frauen üblicherweise in dieser Zeit. Unterdrückt.
Einige der neutestamentarischen Texte wurden inzwischen – m. M. nach zu Recht – angepasst, d.h. ergänzt. Sie sind nicht nur ein Stück Weltliteratur, sondern sollen den Gläubigen auch heutzutage noch eine Botschaft übermitteln.
Darum, liebe Brüder, bemüht euch desto mehr, eure Berufung und Erwählung festzumachen. Denn wenn ihr dies tut, werdet ihr nicht straucheln … Lutherbibel 1984
2. Petrusbrief: Brüder oder Brüder und Schwestern?
Darum, Brüder und Schwestern, bemüht euch umso eifriger, eure Berufung und Erwählung festzumachen. Denn wenn ihr dies tut, werdet ihr niemals straucheln … Lutherbibel 2017
Einige Texte, wie z.B. die Geburtsgeschichte von Jesus warten wahrscheinlich vergeblich darauf, korrigiert zu werden. Junge Frau oder Jungfrau? Absichtliche Fälschung oder nur ein fataler Übersetzungsfehler, der zum Marien- und Jungfrauenkult beitrug, Dogmen und Kirchenspaltungen hervorbrachte? Der Frauen in Sünderinnen und Heilige unterteilt.
Wie in allen Gemeinden der Heiligen sollen die Frauen schweigen in den Gemeindeversammlungen; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. Wollen sie aber etwas lernen, so sollen sie daheim ihre Männer fragen.
1 Korinther, 33-35
Sollen solche Texte noch vorgelesen werden? Sollen sie weiterhin im aus Menschenhand zusammengestellten Kanon der biblischen Texte erhalten bleiben?
Sind diese Fragen hier bei uns in der westlichen Kultur noch relevant oder sind die institutionellen christlichen Kirchen ohnehin im unaufhaltsamen Verfall begriffen? Ich tendiere zu letzterer Version. Die netten und salbungsvollen Worte und vorsichtigen Ergänzungen kommen viel zu spät.
Menschen wenden sich esoterischen Bewegungen zu, die oft wieder ein traditionelles Bild des Weiblichen propagieren und in Extremfällen faschistische und autoritäre Tendenzen aufweisen und den Mitgliedern im besten Fall nur das Geld aus den Taschen ziehen wollen.
Vergewaltiger und Inzesttäter in Sodom
Wo sind die Männer, die zu dir gekommen sind diese Nacht? Gib sie heraus, dass wir ihnen beiwohnen. Lot ging heraus zu ihnen vor die Tür und schloss die Tür hinter sich zu und sprach: Ach, liebe Brüder, tut nicht so übel! Siehe, ich habe zwei Töchter, die wissen noch von keinem Manne; die will ich euch herausgeben, und dann tut mit ihnen, was euch gefällt; aber diesen Männern tut nichts, denn darum sind sie unter den Schatten meines Dachs gekommen.
1 Mose 19 – Lutherbibel 2017
Sollen solche Texte heutzutage noch ohne Trigger Warnung und Erklärungen in Synagogen, Kirchen und Schulen vorgelesen werden? Ein Vater, der seine minderjährigen Töchter dem Mob anbietet? Dürfen Kinder solchen Texten ausgesetzt werden? Noch dazu, wo Lot (dem späteren Inzesttäter) durch göttliche Intervention zur Flucht verholfen wird und die namenlose Frau Lot als Steinsäule zurückbleibt?
In den USA, im Bundesstaat Utah wurde offenbar die Bibel in einigen Schuldistrikten verboten. Sie darf im Unterricht erst ab dem Highschool-Alter verwendet werden. In einem Standard-Artikel vom 3. Juni 2023 ist zu lesen, dass ein Gesetz aus dem Jahr 2022 es Schuldistrikten ermöglicht, Bücher mit anstößigen oder pornographischen Inhalten aus dem Schulbetrieb zu verbannen.
Auch hier stellt sich die Frage: Wer – außer den Bibelwissenschaftlern, Rabbinern, Pastoren und mir interessiert sich für den alten Lot und seine Mischpoche? Selbst in der Torah kommt er nach der unrühmlichen Inzest-Geschichte nicht mehr vor. Die aus dem Inzest entstandenen Völker Amon und Moab können dem Judentum (lt. Deuteronomium) nicht beitreten. Die ganze Mühe umsonst?
Söhne (und Töchter) in der österreichischen Bundeshymne
Land der Berge, Land am Strome,
Österreichische Bundeshymne bis 2011: Paula Preradovic (1887-1951)
Land der Äcker, Land der Dome,
Land der Hämmer, zukunftsreich!
Heimat bist du großer Söhne,
Volk, begnadet für das Schöne,
Vielgerühmtes Österreich.
Land der Berge, Land am Strome,
Österreichische Bundeshymne ab 2012
Land der Äcker, Land der Dome,
Land der Hämmer, zukunftsreich!
Heimat großer Töchter und Söhne,
Volk, begnadet für das Schöne,
Vielgerühmtes Österreich.
Der Änderung sind lange und mühsame kontroversielle Diskussionen vorausgegangen, ob man denn so einfach den Text ändern dürfte. Sogar die Erben von Paula Preradovic wurden von den Traditionalisten bemüht, um eine Ergänzung abzuwenden.
Am Ende wurden der österreichischen Bundeshymne dennoch die Töchter hinzugefügt. Bei Fußball-Länderspielen wird dennoch zumeist die alte Version gegrölt. Wo kämen wir denn sonst hin!
Das Vaterland in einer der weiteren Strophen blieb erhalten; dabei ist unser Land – und auch jedes andere Land – meiner Ansicht nach auch und vor allem ein Mutterland.
Gerechtigkeit und Sprache
Vielleicht wird die Welt durch geänderte Sprache gerechter, vielleicht auch nicht. Sprache ist etwas Lebendes und ändert sich ständig, genauso wie sich unsere Welt tagtäglich ändert und weiterentwickelt, ob wir das nun wollen oder nicht. Die Sprache würde dann einzementiert sein, d.h. zur toten Sprache werden, wenn es auch uns nicht mehr gibt.
Wer sich ängstlich an die Vergangenheit klammert und das Heil in der guten alten Zeit sucht und dort, wo alles so einfach erschien und es nur die Bürger, Söhne, Freunde, Lehrer, Bauern und Arbeiter gab, wird wohl in dieser Bubble bleiben.
Stimmt, der Opa meinte es (wahrscheinlich) nicht böse, als er von Negern sprach. Ich habe Pipi Langstrumpf gelesen, Winnetou-Filme geschaut, in meiner Kindheit gab es Eskimos und den schwarz bemalten König Melchior und ich bin (meiner Einschätzung nach) nicht zur Rassistin geworden. Dennoch würde ich heute diese Begriffe nicht mehr verwenden.
Ob bzw. wie die Sprachkorrektur hilft, sei dahingestellt. Besonders wenn wir uns die unendliche Flut an Hasskommentaren anschauen, die unter jedem Artikel zu lesen sind. Da mutet Astrid Lindgrens Negerkönig harmlos an.
Was schlussendlich zählt, sind harte Fakten, wie z.B. Einkommens- und Vermögensverteilung und wer sich um die meist unbezahlte und wenig wertgeschätzte Care-Arbeit kümmert. Wie viele Femizide es pro Jahr gibt, ausgeführt von Männern, die es nicht ertragen können, dass ihnen ihr Eigentum Frau abhandenkommt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Da schaut es nicht so gut aus.
Die Frage bleibt: Drückt die Sprache die Einstellungen der Gesellschaft aus oder bestimmt und ändert die Sprache die gesellschaftlichen Strömungen? Was ist/war zuerst? Wo können/sollen wir ansetzen, wenn wir die Welt zum Besseren ändern möchten oder sind wir ohnehin auf verlorenem Posten?
Wenn du bis hierher gelesen hast, würde ich mich über einen Kommentar und einen Dialog mit dir freuen. Das wäre mir sehr wichtig. Wie siehst du diese Frage? Welche Aspekte möchtest du gerne noch einbringen? Schreib es mir bitte in einem Kommentar oder kontaktiere mich via E-Mail.
Wer schreibt hier?
Ich bin Uli Pauer und ich unterstütze und ermutige dich, Dinge auszumustern, die für dich nur noch Ballast sind. Sachen, die dir schon lange im Weg und ein Dorn im Auge sind.
Willst du gleich loszulegen? Hol dir die geniale Checkliste „121-Dinge-sofort-ausmisten„. In diesem PDF ist alles (nach Wohnräumen bzw. Kategorien) aufgelistet, das du ohne Wenn und Aber hinauskatapultieren kannst. Von Elektroschrott bis zu alten Gebrauchsanweisungen und kratzigen Pullovern ist alles dabei. Zum Abhaken!
Zusätzlich bekommst du eine kleine Anleitung, wie du am besten und effizientesten mit dem Ausmustern beginnst.
Liebe Uli,
danke für deine ausführliche Reise zur Sprache, welche einzelne, besondere Punkte heraushebt. Ich hoffe, dass ich dich richtig verstanden habe, wenn ich für mich das Fazit ziehe:
Solange es Menschen gibt, gibt es Sprache. Diese kommt aus den Gedanken eines jeden einzelnen Menschen und spiegelt das wieder, womit der Einzelne sich beschäftigt, in welcher Kultur dieser Mensch lebt und was er gelernt hat, als er sprechen lernte.
Für mich persönlich stelle ich immer wieder fest, dass ich selbst entscheiden kann, welche Worte ich benutze, oder ob ich doch lieber schweige. Beides hat Folgen. Für mich und für mein Gegenüber, mit dem ich rede. Ich mache mir das immer mehr bewusst, je älter ich werde.
Liebe Grüße
Edith
Vielen Dank für deinen Kommentar. Dasselbe Wort kann für unterschiedliche Menschen etwas Unterschiedliches bedeuten oder interpretiert werden.
LG – Uli
Da kann man sich wirklich den Kopf zerbrechen. So einfach und schwarz-weiß ist das Sprachthema, wie vieles im Leben, nicht. Ich habe hier (mal wieder!) viel gelernt und fühle mich in meiner Meinung zur Bibel bestätigt. Aber andererseits habe auch ich mir von Pipi eben auch lieber das starke Mädchen abgeschaut als irgendwelches rassistisches Gedankengut.
Sprache ist was Lebendiges aber eben auch sehr Kompliziertes 😵
Vielen herzlichen Dank für deinen Kommentar, liebe Vanessa! Ich war bei diesem Thema auch hin- und hergerissen. So oder so: Sprache lebt, bis auch der letzte Mensch gestorben ist, der diese Sprache gesprochen hat.
LG – Uli
Liebe Uli,
wow, ich bin sehr beeindruckt, was du zu meiner Blogparade alles recherchiert und zusammengefasst hast. Was für eine spannende Reise in die Sprache der Vergangenheit und Gegenwart.
Das Fazit muss wohl lauten „Sowohl als auch“: Sprache lebt, wird sich immer verändern und wandeln, muss geändert werden, wo sie aktiv beleidigt, ausgrenzt oder diskriminiert. Doch auch Altes muss stehenbleiben und in seinem zeitgenössischen Kontext begriffen werden, ggf. durch Anmerkungen, Kommentare und Erläuterungen ergänzt.
Neues wird geschrieben werden, das unseren heutigen Ansprüchen entspricht, und auch darüber werden sich kommende Generationen wieder in die Haare kriegen, da bin ich sicher.
Hab allergrößten Dank für deinen nachdenklich machenden Beitrag!
Liebe Grüße
Nicole
Es freut mich sehr, liebe Nicole, dass dir mein Artikel zu deiner Blogparade gefällt. Du hast ein sehr komplexes und wichtiges Thema ausgesucht.
LG – Uli
Grenzgeil
Großartig
Gelungen
Liebe Uli,
Danke für diesen Deep Dive!
Fühle mich total verbunden, weil ich auch der Generation Pippi Langstrumpf, Winnetou und Negerküsse entstamme!
Sprache ist lebendig und alte Texte aufzuräumen… wozu … da braucht es Auslegung und Kommentare.
Lieber neue Texte schreiben ✍️!
Danke 🙏
Dagmar
Vielen herzlichen Dank für deinen Kommentar, liebe Dagmar.
LG – Uli
Puh, Uli! „Schwere Kost“ – dh: viel Nachdenken über das, was du schreibst! Sprache beeinflusst Denken. Denken beeinflusst, was wir fühlen, wie wir handeln, wie wir sind. Sich immer und immer wieder auch selbst beobachten, welche Wörter, welche Ideen wir kommunizieren, welche „Frames“ wir öffnen mit dem, was wir sagen.
Ein herausfordernder lebenslanger Prozess – weil die Welt und wir uns ständig verändern.
Ja, da hast du völlig recht, liebe Angela! Vielen Dank für deinen Kommentar!
LG – Uli
Mir geht es auch so, liebe Uli, ich habe viele dieser Begriffe arglos verwendet und würde sie in den Büchern nicht ändern, aber auch nicht in aktuellen Kontexten verwenden.
Erstaunlich, was du herausgearbeitet hast! Für weiteren Austausch bin ich offen, just jetzt jedoch zu müde.
Liebe Grüße
Silke
Vielen Dank, liebe Silke. Das Thema ist so umfassend. Ich hatte wirklich ein Treibsand-Feeling beim Schreiben. Zum Schluss habe ich sogar noch Teile entfernt, weil der Artikel sonst zu lang geworden wäre. Ein weiterer spannender Teil wäre: Was (z.B. in den Medien) NICHT geschrieben wird oder was man zwischen den Zeilen lesen kann.
LG – Uli