Meine liebe Bloggerkollegin Susanne Wagner wohnte 12 Jahre lang in einem ganz besonderen Hüsli – einem Spycher. Als ich das erste Foto von diesem Gebäude sah, war ich sofort total begeistert. Ich freue mich daher sehr, dass die Spycher-Geschichte das fulminante letzte Wohngespräch für 2023 ist.
Hier ist Susannes aufregende Hüsli-Geschichte:
Mein Kindheitstraum
Vis-à-vis von meinem Elternhaus steht ein Spycher. Als Kind sagte ich immer: Später wohne ich mal in so einem Häuschen! Ich sollte recht behalten! Von 2010 bis 2022 lebte ich am Dorfrand von Mettmenhasli im Zürcher Unterland in einem umgebauten Spycher. Dies ist die Hommage an mein Häuschen – mis Hüsli.
Spycher, Schweizer Mundart für Speicher; von lateinisch spicarium‚ Getreidespeicher, Vorratshaus, spätlateinische Bildung aus spica ‹Ähre›.
Zu spĪcher gibt es im Wörterbuch Schweizerischen Idiotikon einen ausführlichen Beitrag.
Wer hier wohnt, muss improvisieren können
2010. Vor einigen Jahren war ich nach Niederhasli gezogen. Ich war gut integriert und spielte in der örtlichen Musikgesellschaft mit. Dafür hatte ich sogar nach über zehn Jahren Pause die Posaune wieder ausgegraben und es machte mir riesigen Spass.
Am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, versammelten wir uns auf dem Dorfplatz, um die Feier festlich zu umrahmen. Unsere Instrumente packten wir wie immer in den kleinen Räumen des Gemeindehauses aus.
Neben dem Eingang, im Aushängekasten, fiel mir ein nüchternes Inserat auf:
Zu vermieten: 2-Zimmer-Haus mit Garten und historischem Gewölbekeller in Mettmenhasli.
Das Inserat
Wer mietet sich denn bitte einen historischen Gewölbekeller, dachte ich mir. Dennoch war meine Neugier geweckt. Noch am selben Tag fuhr ich nach Mettmenhasli. Der Anblick des Häuschens ging direkt in mein Herz. Keine Frage, da wollte ich wohnen!
Ich wohnte bereits an einem schönen Ort, mit Aussicht auf den Hügelzug Lägern. Es gab keinen Grund, umzuziehen. Ich schrieb eine lange Liste mit Pro und Kontra. Vieles sprach dagegen.
Ich würde das Häuschen ja wohl kaum einfach so kriegen. So würde es auch nicht schaden, es einfach mal zu versuchen, redete ich mir ein.
Es waren Sommerferien. Ich vermutete, das Inserat sei hängengeblieben; das Häuschen schon lange vermietet. Trotzdem rief ich beim Vermieter (der Gemeinde) an. Es war tatsächlich noch zu haben und ich vereinbarte einen Besichtigungstermin für den Spycher.
Wer hier wohnt, muss improvisieren können, sagte die Dame, die mir den Spycher von innen zeigte. Das war genau mein Ding! Hinter den Kulissen waren dank der Referenzen der Musikgesellschaft außerdem bereits die Fäden gespannt und so wurde mir der Mietvertrag angeboten.
Trotz aller Kontra hatte ich mich dafür entschieden, auf mein Herz zu hören.
Als ich nach der Vertragsunterzeichnung nach Hause kam, fand ich im Briefkasten ein Schreiben vor. Meine alte Wohnung würde saniert und altersgerecht umgebaut werden. Zufall oder Bestimmung? Es hatte trotz aller Kontra dennoch einen Grund gegeben, umzuziehen.
Ungebetene Gäste mit Schutzengel
Ich liege im Bett und mein Herz klopft Staccato. Gerade bin ich von einem lauten Rumms aufgeschreckt worden und frage mich, ob ich noch lebe und alles an mir heil ist. Ja! Ich stehe auf, gehe die schmale Treppe hinunter und schaue zum Fenster hinaus: In Nachbars Garten steht ein zerknautschtes Auto in der Rabatte.
An jenem Gründonnerstag in der Früh befanden sich ein paar Jugendliche auf einer Autofahrt. Ohne Fahrausweis! Und ohne die Kurve oberhalb von Mettmenhasli richtig einzuschätzen. Sie kamen von der Strasse ab, bretterten quer durch meinen Garten, über meinen (leeren) Parkplatz und direkt in die Rabatte unter die Tanne meines Nachbarn. Zu Schaden kam wie durch ein Wunder lediglich die ehemals edle Sportkarre der Jugendlichen, mein fort gespickter Grüncontainer und ein paar Randsteinabschnitte.
Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie frontal in die Eiche gefahren wären, den Feuerlöscher erwischt hätten oder mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert wären. Zum Glück war um diese Uhrzeit keiner auf dem Trottoir, niemand in meinem Garten und auch mein Parkplatz war leer.
In der Küche
In Mettmenhasli gibt es nichts ausser einen Briefkasten. Nicht einmal eine Bushaltestelle. Zum (autofreien) Einkaufen ging ich zu Fuss oder fuhr mit dem Velo ins Dorf hinunter oder hinauf: In Niederhasli und in Oberhasli lässt es sich bequem einkaufen.
Bald entdeckte ich die Abo-Boxen eines Gemüseproduzenten der Region und leistete mir den Luxus, Gemüse geliefert zu bekommen. Das entlastete mich auch von den Entscheidungen, welche Gemüse ich auswählen sollte. Ich liebe das: Eine Box voll frischer Zutaten und es kann losgehen mit den Kochexperimenten!
Improvisieren – nicht nur beim Wohnen
Allein für mich ein frei stehendes Häuschen zu haben, bedeutete: Ich übte, wann immer ich Zeit und Lust habe. Ich begann, wieder Posaunenstunden zu nehmen und lernte Priska Walss kennen, die auch Alphorn unterrichtet.
Schon bald liess ich zugunsten von Hörnern die Posaune links liegen und begann, Waldhorn und Alphorn zu spielen. Das (Carbon-)Alphorn begleitete mich auf Wanderungen, das Waldhorn in der Musikgesellschaft.
Ich mietete mir ein Klavier und genoss die Freiheit, einfach dann in die Tasten zu hauen, wenn ich Lust hatte. Als Kind und Jugendliche hatte ich jahrelang intensiv Klavier gespielt. Jetzt fühlte ich mich manchmal wie in einem Traum, von dem Erinnerungsfetzen wieder aufleuchteten.
Der Partykeller
Der Gewölbekeller, der grösste Raum im ganzen Gebäude, lud zum Partymachen ein. Am Jahresende entstand das Ritual der Schnaps-Austrinkete. Das war ein absolutes Eigentor, denn die Partygäste brachten ständig hochprozentige Geschenkli oder wollten eine neu entdeckte Spezialität degustieren.
Katzengeschichten
Endlich konnte ich eine Katze haben! Ein weiterer Kindheitstraum erfüllte sich!
Zwei Katzenbrüder – wie sollten sie heissen? Ali Baba, Baba Ganousch … Kuala Lumpur!
Lumpur war ein Draufgänger und brachte dem scheuen Kuala alles bei. Die ersten drei Wochen versteckten sie sich unter Möbeln und mieden mich. Eines Abends hüpfte Lumpur auf meine Füsse und schaute mich an, wie wenn er fragen würde: Bist du mein neuer Mensch? Ja, sagte ich. Ich bin dein neuer Mensch. Kuala hüpfte hinterher und so freundeten wir uns an.
2012 verschwand Lumpur. Ich weiss bis heute nicht, was geschah. Hatte er einen Unfall? War er einem Fellräuber zum Opfer gefallen? In den lokalen Medien kursierten hin und wieder Geschichten von Katzenentführungen. Den Katzen wurde das Fell abgezogen und als Rheuma-Heilmittel teuer verkauft. Mein lieber Lumpur kam nicht wieder und Kuala war allein.
Ein Jahr später entschied ich mich, dem sozialen Kuala wieder ein Katzengspähnli zu verschaffen. Kätzchen Marimba kam ins Haus. Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Kuala setzte erst gut ein Jahr später wieder eine Pfote über die Türschwelle und lebte fortan draussen und im Keller. Später sassen die beiden sich manchmal gegenüber und ohrfeigten sich, so gross war ihre „Zuneigung“.
2017 verschwand Marimba. Genau an dem Tag, an dem sie nicht mehr nach Hause kam, beobachteten Nachbarn einen Unfall mit einer Katze. Die Katze wurde nie gefunden. Ich weiss bis heute nicht, was mit ihr geschehen ist.
Kuala ist immer noch da. Vor einem Jahr ist er mit mir umgezogen und lebt nun sein (hoffentlich glückliches) Katzenleben in einem anderen Dorf, nur wenige Kilometer von seinem ursprünglichen Zuhause im Spycher entfernt.
Als er letzten Frühling einmal verschwunden war, dachte ich, er sei nach Hause zurückgelaufen. Jedenfalls tauchte er nach vier Wochen – bis auf die Knochen abgemagert und mit einer üblen Wunde – wieder auf und liess sich verarzten. Wie viele Katzenleben ihm wohl noch bleiben?
Im Garten
Der wilde Garten war ein Ort zum Ausprobieren: Was kommt weg? Was kommt neu? Wie entwickelt es sich? Wie mache ich es?
Noch Jahre nach dem vorösterlichen Autounfall fand ich verstreute Kleinteile: Spiegel- und Glasscherben und Puzzleteile der Autoaussenseite, die durch den Gartenzaun geschrammt waren.
Der Kräutergarten
Einen eigenen Kräutergarten hatte ich mir schon immer gewünscht! Einige Kräuterpflanzen, die schon vorher bei mir gelebt hatten, kamen aus dem Topf in die Erde. Andere kamen neu dazu.
Hätte ich beim Auszug eine einzige Pflanze aus meinem ganzen Garten mitnehmen können, wäre es der Salbeistrauch gewesen, den ich aus Samen gezogen hatte. Aber als ich auszog, war der Boden gefroren und so bin ich ohne Pflanzenbegleitung übersiedelt.
Die Eiche
Eine riesige Eiche steht im Garten des Spychers. Im Sommer spendet sie Schatten und im Winter gestaltet sie mit dem Himmel im Hintergrund wunderbare Naturstimmungen. Für meinen ersten Gähnblog (der in dieser Form heute nicht mehr existiert) verwendete ich jeden Monat ein Bild der Eichenkrone, aufgenommen vom gleichen Standpunkt.
Hinter dem Haus
Der Teil des Gartenzauns, der perfekt als Katzenleiter passte, hatten die Jugendlichen im zu Schrott gefahrenen Auto passgenau zugeschnitten. Seltsam, wie aus einem Unglück ein perfektes Stück Glück resultiert.
Aller Anfang war ein Schreibtisch
Bei meinem Einzug hatte ich keinen Schreibtisch eingeplant. Schliesslich war ich dem Studium längst entwachsen und auch mit Weiterbildungen war vorerst einmal Pause.
Dann kam der Abend, an dem ich am Sofa das Wort Atem in die Weiterbildungsdatenbank eingab, denn ich wollte mir als Atemtherapeutin ein zweites Standbein aufbauen. Mehr dazu liest du auf meiner Über-Mich-Seite.
Ab 2016 brauchte ich unbedingt wieder einen Schreibtisch. Das Mietklavier musste gehen. Der Platz war zu knapp für beide. Meinen Raumsparschreibtisch habe ich noch heute und freue mich daran, wenn ich, wie zum Beispiel jetzt, einen Blogartikel schreibe.
Der Schreibtisch hat Geschichte. Hier
- entwickelte ich meinen ersten (privaten) Webauftritt mettmenhas.li (nicht mehr online)
- schrieb ich meine Abschlussarbeit zur Atemtherapie-Ausbildung und befragte ca. 800 Personen zu ihrem persönlichen Erleben von Gähnen
- stellte ich meinen Blog zum Gähnen online
Die drei Räume: Unten – Oben – Mitte
Nach Ilse Middendorf gibt es fünf Atemräume:
- Der untere Atemraum: Der Vitalraum, der Impuls, das Drängende, die aufsteigende Atemkraft
- Der obere Atemraum: Der Raum der Entfaltung, das Sanfte, die absteigende Atemkraft
- Der mittlere Atemraum: Hingabe und Achtsamkeit, Horizontale Atemkraft
- Der Aussenraum: Das Wachstum zum Kosmischen
- Der Innenraum: Der Kosmos in uns
(Aus: Ilse Middendorf (2007): Der Erfahrbare Atem. Eine Atemlehre. Paderborn: Junfermann)
So habe ich im Spycher gewohnt: Der untere Raum war der Gewölbekeller, der obere Raum mein dreieckiges Schlafgemach und der Wohnbereich mit Küche der mittlere Raum.
Innen
Der Kosmos in meinem Häuschen.
Der untere Raum
Der Gewölbekeller ist der grösste Raum im Haus und nimmt den kompletten Grundriss ein. Früher war der Boden ein Kiesbett. Damit war das Kellerklima ideal zum Aufbewahren von Gemüse.
Beim Umbau wurde im hinteren Teil ein kleiner Raum in den Berg gegraben, in dem der Boiler Platz und die Sicherungskästen Platz fanden. Ein WC wurde installiert. Der Gewölbekeller selbst wurde um eine Küchenzeile ergänzt und der Boden mit Platten (inkl. Bodenheizung) verschlossen.
Somit wäre der Raum ein ideales Atelier, Gewerberaum oder Versammlungszimmer geworden. Wäre – weil die Feuchtigkeit nun nicht mehr vom Kiesbett reguliert wurde, sondern den ganzen Raum quälte und sich in den Mauern festfrass. Deshalb wurde dieser Raum nicht (mehr) separat vermietet.
Ich hatte im Keller meine drei Velos und allerhand Gartengeräte, Gerümpel und die Partyausrüstung. Mindestens einmal im Jahr räumte ich den Keller aus und wir feierten von Cassoulet bis Schnapsdegustation. Auch als Ausweichmöglichkeit war der Keller super: Ich machte Party, daber das Wetter spielte nicht mit? Kein Problem. Der Keller war unser Ausweichquartier und wir waren geschützt vor Wind und Wetter.
Der obere Raum
Der Dachstock ist komplett dreieckig. Das Dach kommt in der Schräge bis zum Boden.
Am ersten Abend fragte ich mich, ob ich in einem dreieckigen Zimmer überhaupt schlafen könnte. Es klappte ganz einfach und wunderbar, nachdem ich das Licht gelöscht hatte.
Im Winter wurde es oben sehr kalt, da es keine separate Heizung für diesen Raum gab. Einen Ofen wollte ich hier oben auch nicht. Ich war sowieso fast nur zum Schlafen da, also holte ich mir alle Decken und härtete mich ab. Nur wenn ich krank war, war das übel, sonst hat es mich lebendig und froh gemacht.
Der obere Stock hat einen Holzboden und die Bretter liegen auf den Balken des Wohnraums. Irgendwann leerte ich oben einmal ein Glas Wasser aus und es tropfte in die Stube hinunter. Da erst fiel mir auf, dass es Ritzen zwischen den Brettern gab.
In der Corona-Zeit begann ich, online-Atemstunden anzubieten: Diese streamte ich live aus dem Dachstock des Spychers, jeden Montagmorgen um 7:00 Uhr in der Früh.
Der mittlere Raum
Der Raum oberhalb des Kellers und unterhalb des Dachstocks ist der eigentliche Wohnraum. Die Eingangstür führt genau in diesen Raum; eine schmale Treppe links in der Ecke verbindet zum Dachstock. Eine Treppe in den Keller gibt es von da aus nicht, da muss man aussen rum.
Beim Einweihungsfest für meine neuen Nachbar:innen fragte eine alteingesessene Dorfbewohnerin mehrmals nach der Treppe in den Keller. Ich weiss nicht, ob es vielleicht doch einmal einen solchen Zugang gab oder ob sie das Haus verwechselt hat.
In diesem mittleren Raum spielte sich mein Wohnleben ab: Küche, Mini-Bad mit WC und Dusche, Wohnzimmer aka Büro oder Esszimmer. Hier hatte ich auf engem Raum zwei Sofas, zwei Sekretäre (meine Lieblingsmöbel) und zwei Tische. Zuerst war in der Küche auch noch die Waschmaschine, die aber bald in den Keller umzog und mir die Gelegenheit gab, einen zusätzlichen Tisch in die Küche zu stellen, besser gesagt ein Tischchen.
Viel Platz war nicht, vor allem in der Küche. Trotzdem habe ich oft und gerne (auch für Gäste) gekocht und gebacken.
Aussen
Das Wachstum zum Unendlichen, sagt Ilse Middendorf.
Der Aussenraum
Der Umschwung, besonders der Garten, war mein unmittelbarer Aussenraum, der mich mit meinen Nachbarn und der angrenzenden (Um-)welt verband. Im Garten gab es viel Wachstum, stetige Freuden, aber auch viel Stress und Überforderung für mich, zum Beispiel, wenn die Eiche ihre Tausenden von Eicheln abwarf und ich mit dem Aufräumen beschäftigt war.
Im Garten und im Schatten der Bäume und Sträucher haben wir herrliche Feste gefeiert.
Der Nussbaum auf der angrenzenden Wiese war leider krank und musste gefällt werden. Noch lange habe ich Nüsse in den Grasbüscheln versteckt gefunden.
Auch ein riesiger Parkplatz gehörte auch Spycher: Meistens stand da nur mein ebenso riesiger Grüncontainer. Wenn wir Feste feierten, war Platz für bis zu sechs Autos. Immer wieder wurde ich darauf angesprochen, ob ich nicht einen Autostellplatz vermieten wolle. Nein, wollte ich nicht!
Meckereien
Hinter dem Haus grenzt eine Wiese an das Grundstück, auf dem der Spycher steht. Mein Nachbar hielt dort Geissen. Die Ziegen meckerten los, sobald ich nach Hause kam und das Kellertor aufschloss, um mein Velo zu versorgen. Ich füttere keine fremden Tiere, die Geissen konnten meckern, so viel sie wollten, von mir kriegten sie nie etwas zwischen die Zähne.
Jedes Mal, wenn ich hinter mein Häuschen trat, bellte ein Hund in der Nachbarschaft und ich sagte ihm: Hey, das ist mein Garten!
Was mir von Anfang an nicht gepasst hatte, war die Heizung. Beim Umbau Ende der 80er-Jahre wurde eine strombetriebene Bodenheizung eingesetzt. Ich heizte extrem sparsam (das können meine Besucher:innen bezeugen), trotzdem bezahlte ich (für meine Verhältnisse) horrende Stromrechnungen. Als deutlich wurde, dass die Strompreise stark steigen würden, war für mich klar: Ich wollte weg.
Er gab noch andere Beweggründe für mich: 15 Jahre hatte ich allein gewohnt und das sehr genossen. Jetzt wurde es Zeit, wieder anders anzufangen, aus meinem Ego-Schlösschen rauszukommen und mich mehr mit meiner Umgebung zu befassen.
Der Auszug war dann auch der Anlass, endlich richtig aufzuräumen. Vor allem im Keller hatte sich so allerhand angesammelt … Als wir beim Umzug alle Dinge, die wir nicht mitnehmen wollten, auf einen Haufen gelegt hatten, erschrak ich echt: Das alles hatte mir nun seit Jahren Raum genommen, obwohl ich es weder brauchte noch besitzen wollte? Welche Erleichterung, diese Sachen endlich loszuwerden.
Mein Traumhaus oder mein Gefängnis?
Der Spycher kam mir oft vor wie eine Burg. Hinter der schweren Holztür war ich aufgehoben und unantastbar. Es kamen aber auch Gedanken wie: Wenn ich jetzt sterben würde, wann würden sie mich wohl finden? Und wer müsste hier aufräumen?
War der Spycher mein Refugium oder mein Gefängnis? Vom Gebäude her gibt es wohl keinen Unterschied, der Geist macht ihn: Bin ich aus freiem Willen da, wo ich bin oder zwingt mich etwas?
Ich hatte verstanden: Wenn ich an einem Ort wohne, wo ich mich ständig frage, was ich da eigentlich mache, dann stimmt es nicht (mehr).
- Ist es möglich, im lang ersehnten Traumhaus zu wohnen? Ja.
- Ist es richtig, aus dem Traumhaus wieder auszuziehen? Ja.
- Ist das Traumhaus deswegen nicht mehr das Traumhaus? Nein.
Es gibt Träume, die sich nie erfüllen, weil sie Träume bleiben sollen.
Es gibt Träume, die sich erfüllten und mich verändert haben: Das hat die Zeit im Spycher mit mir gemacht.
Meine Erkenntnis aus 12 Jahren im Spycher ist: Es ist gut, einen Traum zu haben und ihn umzusetzen. Genau so wichtig ist es aber auch, den Traum ziehen zu lassen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Meine Top 5 aus der Zeit im Spycher
- Kuala, Lumpur und Marimba haben mein Leben bereichert und mit ihnen hat sich mein Kindheitstraum, eigene Katzen zu halten, erfüllt.
- Mein Leben ist schöner mit Musik: Im Spycher konnte ich das ganz spontan leben und habe das Waldhorn und das Alphorn entdeckt.
- Der Spycher war Startpunkt für eine lange Wanderung durch Südfrankreich und hier kam ich meinem Atem auf die Spur. Heute bin ich Atemtherapeutin.
- Auf der langen Wanderung teilte ich meine Erlebnisse in meinem allerersten Blog mit meinem Umfeld. Heute bin ich seit zehn Jahren aktive Bloggerin.
- Im Spycher hatte ich meine Ruhe und konnte mich einigeln. Das gab mir Kraft und Elan, um Beziehungen zu pflegen und im Alltag in der lauten Welt zu bestehen.
Susanne Wagner
Susanne Wagner ist Linguistin, Atemtherapeutin und Erwachsenenbildnerin. Sie studierte an der Universität Zürich Sprachen, im Nachdiplom an der Universität Basel Papierkuratorin sowie an der ZHAW Winterthur Kulturmanagement.
Seit über 20 Jahren arbeitet sie Teilzeit als Übertragungsspezialistin Blindenschrift und baute sich mit 40+ ein zweites Standbein als Atemtherapeutin und Erwachsenenbildnerin auf. Damit verfolgt sie als Schreibtisch-Profi für hoch konzentrierte Bildschirmarbeit ihre Pausen-sind wichtig-Mission.
Sie bloggt über Atemgesundheit und das Pausen machen und engagiert sich im Vorstand des AFS Atemfachverband Schweiz für die Atemtherapie in der Schweiz. Seit 2019 arbeitet sie in eigener Praxis im Zürcher Unterland und unterrichtete bis Ende 2023 am Ateminstitut Schweiz in Bern.
Mehr über Susanne findest du auf ihrer Website und ihrem Blog:
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Bei Facebook:
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Lust auf noch mehr Wohngespräche? Hier entlang, bitte!
Was für ein schönes Häuschen zum unabhängigen wohnen und leben! Toll.
Traum erfüllt, mit Leben gefüllt und jetzt darf ein neuer Traum erfüllt werden. Leben halt – oder?
Wow, wow, wow, das ist ja mal ein Wohngespräch der ganz besonderen Sorte! Komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Dieses Hüsli ist wirklich ein spezieller Ort zum Wohnen! Übers Housesitting habe ich schon in einigen verwunschenen Häusern gewohnt, während die Hausbesitzer auf Reisen waren. Aber immer nur ein paar Wochen. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit. Du bist sehr mutig, liebe Susanne. Und es ist gut, wenn dieses Kapitel im Leben dann abgeschlossen ist und in schönen Erinnerungen weiterexistiert.
Herzliche Grüße
Kerstin
Ich war auch von Anfang an fasziniert vom Hüsli! Vom Kindheitswunsch zum Loslassen – ein fantastischer Abschluss der 2023er-Wohngespräche.
LG – Uli
Liebe Susanne, liebe Uli,
das ist ja mal wieder ein Artikel über ein Domizil der Sonderklasse, wie spannend, in solche einem Spycher zu wohnen! Schon wegen der Ziegen auf dem Nachbargrundstück wäre ich auch gerne einmal zu Besuch gekommen, sie sind seit Jahrzehnten meine Lieblingstiere.
Dass diese besondere Art zu wohnen einiges an Improvisationstalent erfordert, steht wohl außer Frage. Allein der Dachboden ohne Heizung lässt mich Frostbeule buchstäblich erschauern. Aber der wunderschöne Garten hat sicher einiges wettgemacht, oder?
Danke für die vielen Einblicke in dein Leben dort, liebe Susanne.
Und liebe Grüße an euch beide
Ulrike
Ich gehöre auch zur Fraktion der Frostbeulen und beim Gedanken an den ungeheizten Dachboden war mir sogar kurz in meiner geheizten Wohnung kalt. 🙂
LG – Uli
Liebe Susanne.
was für eine herzergreifende Geschichte (zumindest für mein Herz 😉). Ja, man kann einen Traum leben und ihn dann wieder ziehen lassen, wenn es genug ist. Danke für die Inspiration und alles Gute, Korina
Danke für deinen Kommentar, liebe Korina. Ich finde auch, dass die Hüsli-Geschichte ans Herz geht.
LG – Uli
Liebe Uli, vielen Dank für diese Wohngespräch-Gelegenheit!
Macht mein Herz froh, dass „mein Hüsli“ hier die wohlverdiente Hommage bekommen hat. Der Auszug ist in meiner Erinnerung so im Traumland, wie der Moment 12 Jahre davor, als ich zum ersten Mal die Türe zum Spycher aufschloss. Gleichzeitig ist alles, wie wenn es erst gestern gewesen wäre.
Hurra für mein Karma, ich hab’s geschafft, die erste zu sein mit meinem Kommentar (es sieht jedenfalls danach aus …)
Übrigens: Wow! Mit 14 Wohngesprächen für 2023 hast du sogar 12 von 12 gesprengt 😉
Frohe Endjahrestage wünscht dir und euch allen – Susanne
Liebe Susanne, wie toll, dass du mit deiner Hommage an dein ehemaliges Hüsli (ich liebe dieses Wort!) mitgemacht hast. Vielen DANK dafür! Nicht nur hast du dafür ordentlich gutes Karma für den Artikel bekommen, sondern auch noch für den Kommentar!
Ich wünsche dir auch ein schönes Jahresende und ein erfolgreiches und wunderbares 2024!
LG – Uli