Freitag, der 12. Januar 2024 ist der 12. Tag des gregorianischen Kalenders, somit bleiben 354 Tage bis zum Jahresende. Das Wetter in Wien ist meist stark bewölkt; der Himmel ist grau. Die Sonne blinzelt nur ganz kurz zwischen den Wolken hindurch. Die Temperatur schwankt zwischen -2 und +2 Grad. Es weht kalter Nordwestwind.
Ich habe das Gefühl, dass meine Finger zu Eisklumpen erstarren. Fotos bei diesen Temperaturen aufzunehmen, ist eine frostige Angelegenheit, denn ich muss dazu meine Handschuhe immer wieder ausziehen.
Heute bin ich auf der Inneren Mariahilfer Straße unterwegs, die vom Museumsquartier bis zum Mariahilfer Gürtel (Westbahnhof) reicht und zum 7. Wiener Gemeindebezirk – Neubau – gehört. Sie ist eine der Haupteinkaufsstraßen Wiens und wird von uns Wienerinnen liebevoll Mahü genannt.
Ich spaziere in Richtung Ring und komme bei der öffentlichen Toilette beim Bundesländerplatz, Ecke Mariahilfer Straße 77, vorbei. Diese altertümlich anmutende unterirdische WC-Anlage punktet mit jeweils eigenem Eingang für Frauen und Männer und gegenderter Wärterin.
Bald kommt die Mariahilfer Kirche in mein Sichtfeld. Der Name Mariahilf kommt vom gleichnamigen Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren. Das Original befindet sich im Dom von Innsbruck, eine Kopie hier in der Mariahilfer Kirche.
1660 bringt der Barnabitenpater Don Cölestin Joanelli bringt das Mariahilf-Bild zur öffentlichen Verehrung nach Wien. Das war der Beginn für die Wallfahrten nach Mariahilf.
Kaiserin Maria Theresia pilgerte nach Mariahilf, um die Gottesmutter um ihre Fürsprache zu bitten. Während der drei heiligen Messen, denen sie aufeinander folgend beiwohnte, soll sie eine viertel Stunde am Boden liegend gebetet und geweint haben.
Auch in den Jahren 1805, 1809 und 1813, während der napoleonischen Kriege, fanden gewaltige Staatsprozessionen mit bis zu 90.000 Teilnehmern statt.
Die Menschen pilgern heutzutage vor allem in die vielen Geschäfte, Restaurants und Imbissläden, aber es gibt sie noch: die religiösen Wallfahrten in diese Kirche.
An der Rückseite der Kirche – in der Barnabitengasse – gibt es ein von der Caritas geführtes Obdachlosenheim, wo wir auch immer wieder ausgemusterte Kleidungsstücke hinbringen.
Es scheint fast so, als ob dieser Märtyrer beim Meditieren müde geworden und eingeschlafen ist.
Walter White – bekannt aus der Serie „Breaking Bad“ – hat auf der Mahü sein Geschäft; vielleicht arbeitet aber auch Saul Goodman aka Slippin‘ Jimmy inkognito hier. Oder doch eher beim neu eröffneten Cinnamood, wo noch vor wenigen Wochen die Menschen Schlange standen, jetzt aber kaum noch Kundschaft zu sehen ist.
Ich gehe weiter bis zur Nummer 1, blicke auf die Ringstraße und mache kehrt. Ganz unten – am Ende der Mahü – ist der riesige Gebäudekomplex des Museumsquartiers.
Ein paar Meter weiter steht das Fachgeschäft für Kopfbedeckungen und Handschuhe, das – nicht ganz passend zum Geschäftsmodell – Fuss heißt.
Überall in Wien sieht man an jedem einzelnen Tag Kräne und Baustellen. So auch auf der Mahü. Eine Großbaustelle, bei der wegen der riesigen Signa/Benko-Pleite nichts mehr weitergeht, ist das Kaufhaus- und Hotelprojekt Lamarr. Das ehemalige Prestigeprojekt, dem das Möbelgeschäft Leiner weichen musste, wird wohl als Bauruine die Straße längerfristig verschandeln.
Ich nähere mich wieder meinem Ausgangspunkt an. Dieses UPS-Gefährt ist ganz neu für mich und wird hier offenbar für die Zustellung verwendet. Ich sehe schon den Fahrer herbeieilen.
Die Wiener Linien machen immer wieder mal Werbung und bekleben Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen. Diese Werbung ist allerdings sehr speziell.
Es wird Zeit, der Mahü Adios zu sagen und mich wieder in die fürstliche Esterhazygasse zu begeben. Es weht ein eisiger Wind und ich kann meine Finger kaum bewegen. Ich freue mich auf einen heißen Kaffee und ein gutes Stück Orangenkuchen.
Du hast bis hierher gelesen und willst noch mehr 12-von-12-Artikel von mir lesen. Hier entlang geht’s zu meinem Augenblickstagebuch:
Hey Uli,
das sieht nach einem schönen Tag aus … meine Highlights sind eindeutig die Buswerbung in Verbindung mit dem Märtyrer hinter Glas. Aber auch „Dank und Bitte“ in Stein gemeisselt finde ich so wunderbar symbolisch und wichtig und richtig. Eine Erinnerung an alles, wofür ich dankbar bin, ist so wohltuend und hilfreich … vielleicht sollte ich da auch mal was in Stein meisseln 😉
Gruß,
Heiko
Herzlichen Dank für deinen Kommentar, lieber Heiko. Obwohl ich sehr oft auf der Mahü unterwegs bin, war ich bis zum 12.1.2024 noch nicht in der Mariahilfer Kirche. Genau das liebe ich so sehr am 12-von-12-Format, dass ich immer wieder Neues entdecke, selbst wenn ich auf altbekannten Pfaden unterwegs bin.
LG – Uli
Hahaha, Bildunterschrift #12: Das finde ich auch!
Ansonsten wieder mit schön viel Schmäh und Tiefsinnigkeit geschrieben.
Ich kann mich noch an deine Ausführungen zum Cinnamood erinnern. Es war abzusehen, ne?
Kommt es mir nur so vor, oder war recht wenig los auf der Mahü an einem Freitag im Jänner?
Ich freu mich auf dein nächstes 12 von 12!
Lieben Gruß Ulrike
Vielen Dank für deinen Kommentar, liebe Ulrike. Ich hab auch kurz überlegt, ob ich ein weiteres Foto vom Cinnamood machen und dann die Schlange vs. gähnende Leere zeigen soll. Es schaut so aus, als würde Cinnamood das gleiche Schicksal ereilen wie Dunkin Donuts auf der Mahü. Am Anfang gab es Menschenschlangen vor dem Geschäft, dann ebbte es ab und nach einiger Zeit wurde es ganz geschlossen.
Am Freitag war wirklich nicht sehr viel los auf der Mahü, aber ich war auch schon am Vormittag unterwegs und es wehte ein eisiger Wind bei Minusgraden. Ich habe mich immer wieder mal in einem Geschäft aufgewärmt. Von den 32 Artikeln im 12-von-12-Format war das definitiv der eisigste.
LG – Uli
Liebe Uli, schon mal an ein Nebengewerbe als ganz besondere Stadtführerin gedacht?
Die Buswerbung , der Hammer. Ist das der morbide Charme von Wien?
Ganz liebe Grüße Silke
Herzlichen Dank, liebe Silke! Vielleicht sollte ich einen ganz besonderen Stadtführer schreiben oder einen extra Wien-Blog machen. Den morbiden Charme von Wien kann man in an vielen Plätzen sehen.
LG – Uli
Oja, bitte mach das, liebe Uli, schreibe deinen Reiseführer über das graue Wien! Morbide oder einfach nur skurrile Ecken gibt es ja in jeder Stadt und ich finde die interessanter als die aufgehübschten Touri-Sehenswürdigkeiten. Und Wien scheint ja besonders viele dieser Schätze zu haben.
Viel Spaß beim weiteren Erkunden und Schreiben
Ilka
Vielen Dank, für deinen Kommentar, liebe Ilka! Mir geht’s auch so – in jeder Stadt – dass ich mir lieber die skurrilen Sachen anschaue – als die „Sehenswürdigkeiten“.
LG – Uli
Fachgeschäft „Fuss“ für Hüte und Handschuhe – herrlich!
Bei dem UPS-Wägelchen frag ich mich ja, wo da die Lieferungen untergebracht sind. Da passen doch nicht mehr als ~20 Pakete rein. Da kommste doch auf der Mahü höchstens 5 Häuser weit.
Gibt’s Pendelverkehr zum Depot? Werden damit nur flache Umschläge ausgeliefert? Gehört da eigentlich ein Anhänger zu, der skandalöserweise geklaut wurde? So viele Fragen!
Ich reich mal einen Becher Tee zum Händewärmen!
Vielen Dank für deinen Kommentar, liebe Djuke. Diese UPS-Wägelchen sind auch für mich neu. Und sie werfen in der Tat viele Fragen auf. Viel geht da sicher nicht rein!
LG – Uli
On my 100 hundreth birthday, I plan to celebrate the blessed event by renting the Bestattung Bus to carry all my (living) friends to a Heurigen in der Edelbezirk Simmering! What better way and place to honor the centenarian and hoist a glass of premium Sekt to the survival of the fittest, the fittest being me, of course! Prosit!
I’m sure the guests will like it. And you never know, in a couple of years the 11th district might be an „Edelbezirk“.
Danke fürs Mitnehmen durch deine schöne Stadt. Sehr interessant, was du alles immer entdeckst.
Sehr gerne, liebe Luise!
LG – Uli
Liebe Ulli,
was für ein schöner 12-von-12-Beitrag. So tolle Fotos von Wien 🙂
Das erinnert mich an meinen 1-wöchigen Wien-Urlaub im letzten Jahr, aber ich habe nichts davon wiedererkannt. Dafür die besondere Stimmung …
Witzig, welche Details die aufgefallen sind. Der Name des Kopfbedeckungsgeschäfts 🤣- und die Werbung auf dem Bus sind wirklich speziell!
Ich habe gestern übrigens ein paar kleine Entrümplungsprojekte umgesetzt, du wärst stolz auf mich 🙂
Liebe Grüße
Astrid
Liebe Astrid, vielen Dank für deinen Kommentar! Ich finde das 12-von-12-Format u.a. auch deshalb so genial, weil ich an diesem Tag mit ganz anderen Augen durch die Stadt (oder wo ich mich gerade befinde) gehe. Die Mahü kenne ich nun wirklich sehr gut, aber es sind mir wieder neue Details aufgefallen.
LG – Uli
Guten Morgen Uli,
in einen Bus mit dieser Werbung würde ich nie einsteigen, selbst wenn er verspricht, mich direkt bis zu meiner Behausung (welcher?) zu bringen – das hat noch Zeit!
Ja die Shoppingtempel haben die Kirchen heuer abgelöst und auch da zahlt man seinen Tribut, und nicht zu knapp 😉
Das WC ist toll, da müszte ich doch gleich mal – – –
Danke für diesen wieder sehr interessanten Spaziergang (ein Mosaik, das wie gemalt aussieht, hab ich noch nie gesehn), die kalten Hände hatte ich gestern genauso.
Morgenlichtgrüsze und ein gemütliches WE
Mascha
PS: könntest Du bitte einmal durch die Zentagasse gehn? Du weiszt sicher, warum –
Vielen Dank für deinen Kommentar, liebe Mascha. In die Zentagasse gehe ich sehr gerne einmal; sie ist in unmittelbarer Nähe. Das ist ein toller Vorschlag! Da werde ich einen eigenen 12-von-12 Artikel draus machen!
LG – Uli
Liebe Uli,
bei lesen deiner 12 von 12 ist die Liebe zu Wien so schön zu spüren. Deine Stadtführerungen sind besser als jeder Reiseführer. Wenn ich mal nach Wien komme, werden sie mich begleiten.
Herzlichen Dank, Birgit
Liebe Birgit, vielen Dank für deinen Kommentar. Es stimmt, ich liebe Wien und möchte nirgendwo anders leben. Wenn du nach Wien kommst, dann hoffe ich, dass wir uns treffen werden.
LG – Uli
Liebe Uli,
Das war ja spannend! Schön, dass du uns trotz Kälte durch die Mahü geführt hast!
Ich fand ja das WC mit dem Putzfrauenstuhl (der Satz ist evtl irreführend 😉) am besten. Sowas sieht man glaub nur in Städten.
Grüessli,
Edith
Herzlichen Dank für deinen Kommentar, liebe Edith. Das war diesmal wirklich eine eisige Angelegenheit. Aber Aufgeben ist an einem 12. keine Option. Das WC ist wirklich sehr besonders und ich habe es vorher auch noch nie gesehen.
LG – Uli
Liebe Uli
Meine Dankeschön für diese Stadtführung sende ich dir in Kommentar gemeisselt. Besonders die Danke- und Bitteschöns imponieren mir.
Der Bestattungsbus fährt allerdings in die falsche Richtung.
Es lebe das Leben!
Herzlich, Susanne
Vielen Dank für deinen Kommentar, liebe Susanne! Diese Danke- und Bitte-Täfelchen habe ich auch zum ersten Mal gesehen. Es gibt in einem Seitenraum der Kirche eine eigene Mariengrotte.
LG – Uli