Sonntag, der 12. November 2023 ist der 316. Tag des gregorianischen Kalenders, somit bleiben 49 Tage bis zum Jahresende. Das Wetter in Wien ist sonnig, die Temperatur erreicht 10 Grad. Die ersten Christkindlmärkte sperren auf und die Weihnachtsbeleuchtung erstrahlt in hellem Licht.
Am 12. November 1918, d.h. vor 105 Jahren, proklamiert die provisorische Nationalversammlung die Republik. Ein neues Kapitel in der Geschichte Österreichs wird aufgeschlagen.
Für die Habsburgermonarchie ist es der Tag danach. Der Zersetzungsprozess hat ein Ende gefunden.
Es stürzte eigentlich nichts: Der Thron verfiel wie eine morsche Sitzbank in einem vernachlässigten Park; die Monarchie löste sich auf, wie ein Zuckerwürfel im Wasserglas.
Joseph Roth über das Ende des Habsburgerreichs
Emil Cucullatus, auch Milán de la Cogolla genannt, hat heute Namenstag. Er stammte aus Verdejo im Norden Spaniens, war Hirte und lebte dann 40 Jahre lang als Einsiedler in einer Höhle in den Bergen von Cogolla.
In seinem neuen Leben hat Emil eine Bäckerei im 6. Wiener Gemeindebezirk.
Emil bedeutet: Der Eifrige. Das kann man vom Bäcker Emil nicht behaupten. Die Öffnungszeiten sind sehr „flexibel“. Wenn man Glück hat, ist geöffnet. Heute gibt es kein Glück.
Mein Sonntagsspaziergang führt mich die Mariahilfer Straße entlang. Am Sonntag ist wenig Betrieb, denn die meisten Geschäfte sind geschlossen. In manchen Eingängen liegen Obdachlose in ihren Schlafsäcken. In der nahen Barnabitengasse gibt es das Caritas-Tageszentrum und die Notschlafstelle Gruft.
Ich überquere die Ringstraße und gelange an das Äußere Burgtor. Es ist Teil der ehemaligen Stadtmauer zwischen dem Heldenplatz und dem Burgring.
Über den Heldenplatz schlendere ich weiter in die Hofburg hinein und komme zum ältesten Teil, dem Schweizertrakt. Hier befindet sich die Kaiserliche Schatzkammer, eines meiner Lieblingsmuseen.
Vom imperialen Glanz des Hauses Habsburg geht’s weiter zu ihrer letzten Ruhestätte, der Kapuzinergruft.
Die Gruft ist voll. Die vorerst letzt Bestattung fand am 7. Oktober 2023 statt. Yolande de Ligne, die Frau des verstorbenen Carl Ludwig Habsburg-Lothringen und Schwiegertochter des letzten Kaisers, verstarb im Alter von 100 Jahren in Brüssel.
Den Körpern der Habsburger wurden nach ihrem Tod die Eingeweide entnommen und in Kupferurnen in der Herzogsgruft im Stephansdom bestattet. Die Herzen kamen in Silberurnen und sind in der Herzgruft in der Augustinerkirche beigesetzt.
Die Augustinerkirche ist auch Schauplatz einer kaiserlichen Hochzeit. Sisi, die bei ihrer Hochzeit erst 16 Jahre alt ist, fühlt sich schon wenige Wochen nach der Vermählung „wie in einem Kerker“. Zeitlebens fühlt sie sich außerdem unverstanden. In ihren Gedichten wendet sie sich an die „Zukunftsseelen“.
Ich wandle einsam hin auf dieser Erde
Kaiserin Elisabeth: Poetisches Tagebuch
Der Lust, dem Leben, längst schon abgewandt
Es teilt mein Seelenleben kein Gefährte
Die Seele gab es nie, die mich verstand.
Mit einem letzten Blick auf die Augustinerstraße 12, wo die berüchtigte Serienmörderin und „Blutgräfin“ Elisabeth Bárthory ihr Wiener Domizil hatte, wende ich mich von den verlorenen Seelen ab und fahre mit der U-Bahn in den 15. Wiener Gemeindebezirk.
Mein Ziel ist die Pater-Schwartz-Gasse. Ich will die sterblichen Überreste des Seligen Pater Schwartz sehen.
Pater Anton Maria Schwartz (1852 bis 1929) war ein katholischer Priester, Gründer des Ordens der Kalasantiner und wurde am 21. Juni 1998 von Papst Johannes Paul II. in Wien seliggesprochen. Als Seelsorger kümmerte sich Pater Schwartz vor allem um junge Arbeiter und Lehrlinge.
Niemand – absolut niemand – den ich bisher gefragt habe, hat jemals von Pater Schwartz und dem Orden der Kalasantiner gehört. Ich freue mich, dass ich mich hier auf absolutem Neuland bewege!
Pater Anton Maria Schwartz „kenne“ ich aus dem True-Crime-Podcast „Klenk und Reiter“ oder „Es wird a Leich‘ sein“. Für diesen Podcast vergebe ich fünf Sterne und ich empfehle ihn allen, die sich für schräge Sachen interessieren. Er ist nichts für schwache Nerven!
Rechtsmediziner Christian Reiter spricht in diesem FALTER-Podcast über seine spektakulärsten Fälle. Er obduzierte u.a. die Opfer der berüchtigten Serienmörderin Elfriede Blauensteiner und die der sogenannten „Lainzer Todesengel„.
Professor Reiter arbeitet aber auch immer wieder im Auftrag der Katholischen Kirche, wenn eine Selig- oder Heiligsprechung ansteht. In diesen Fällen wird eine Enterdigung und eine Konservierung der zu diesem Zeitpunkt gefundenen sterblichen Überreste vorgenommen.
Reiters Problem nach der Enterdigung des Paters: Der Leichnam war zwar vollständig erhalten, aber extrem mürbe.
So wie ein „Huhn, das zu lange im Backrohr war und bei dem die Knochen aus dem Fleisch herausfallen“.
Im Zuge der langwierigen Prozedur der Konservierung im Wiener Institut für Rechtsmedizin verfärbte sich zum großen Schrecken aller Beteiligten die Hautfarbe der Mumie. Schwartz war Grün geworden!
Und noch ein Problem hatte Reiter zu lösen: Der Pater war nackt. Wie sollte man der zur Wachsfigur erstarrten Leiche sein heiliges Kleid anziehen?
Die Lösung dieser Fragen kannst du in der Folge: „Der grüne Pater Schwartz“ nachhören.
Von so vielen „mürbiden“ und morbiden Geschichten bekomme ich Hunger. Ich mache daher einen Abstecher zu einem weiteren „Tat“-Ort, um für meinen Salat Mini-Gurken zu kaufen.
Am Rückweg in die Wohnung komme ich bei einer mysteriösen Inschrift vorbei, die mir die Abendgestaltung voraussagt.
Du hast bis hierher gelesen und willst noch mehr 12-von-12-Artikel von mir lesen. Hier entlang geht’s zu meinem Augenblickstagebuch:
Liebe Uli,
danke für den sehr abwechslungsreichen Gang durch deine Stadt!
Eine Mumie gruselt mich dann doch ein wenig…
Grüße zu dir,
Gabi
Ich war auch wirklich froh, dass ich mit „Bodyguard“ in der Kirche war. Die Mumie, ein seltsamer Pater und ich allein – da hätte ich wohl umgehend kehrt gemacht. Die Mumie ist wirklich gruselig – und ich verstehe die katholische Kirche (und auch andere Religionen) nicht, die ihre Toten „zerstückeln“ und in Form von Reliquien zur Schau stellen.
LG – Uli
Brrrrrr – mich schüttelt’s grad‘ noch!
Liebe Uli
Wie immer – wenn ich „nur mal schnell reinschmökern“ will bei dir, bin ich verloren.
Mit einem Lächeln auf dem Gesicht und teils schreckgeweiteten Augen lese ich, was alles so los war und ist im schönen Wien. Ich hangle mich vergnügt von Eingeweihten zu Eingeweiden, entlang an deinen amüsanten Wortspielen, vorbei an traurig-poetischen Kaiserinnen (ich fühle dich, Sissi!).
Auf meiner Tastatur, so scheint es, breitet sich eine Blutlache aus und ein Magengrummeln macht sich breit bei so vielen zu-Huhn-getrockneten Grünen, Glücks-Bäckereien, verlorenen Bauernmädchen… Tat, tat!
Chris – die etwas andere Finanzfrau
Vielen Dank, liebe Chris! Wien hat so viele Besonderheiten zu bieten … da kratze ich grad mal an der Oberfläche.
LG – Uli
Liebe Uli,
ich liebe Deine 12 von 12, wieder habe ich viel gelernt. Der grüne Pater wird mir wohl nie mehr aus dem Kopf gehen und ich werde wohl unbedingt diesen Podcast hören müssen :-). Dankeschön für diesen schönen Einblick, am liebsten wäre ich ja live mitgelaufen.
Liebe Grüße, Susanne
Vielen Dank, liebe Susanne! Ich bin schon gespannt, was du zum grünen Pater Schwartz sagst.
LG – Uli
Ich musste mehrfach herzhaft lachen, denn ich liebe deinen Wortwitz und super staubigen Humor, liebe Uli! Weshalb dieser Pater selig gesprochen wurde, würde mich noch sehr interessieren. Und weshalb du nur Gurkensalat gegessen hast, verstehe ich nicht. Die Steilvorlage wäre doch entweder Hühnerfrikassee gewesen oder Grünkohl mit Pinkel, wie man hier bei uns im Ruhrpott so sagt??? Nun die Striche auf dem Asphalt könnten durchaus Verbrecher-Runen sein. Du solltest mal mit der Polizei Kontakt aufnehmen. Die Einbrecher machen nämlich in ihrer eigenen Zeichensprache einander klar, wo was zu holen ist und zu welchen Zeiten man optimal einsteigen kann. Unter dem Stichwort Einbrecher- Zeichen oder Gaunerzinken wirst du sicherlich fündig und findest Erklärungen für diese seltsamen eingeschliffenen Zeichen. Wir hatten sie oft am Haus, da wurden sie noch mit kreide gezeichnet und ich konnte sie wieder gut entfernen. ich habe aber auch schon gesehen, dass es eingeschliffene Zeichen gibt, die man nicht so schnell und nicht so gut wieder los wird. Danke für diesen Einblick in deinen 12. November. Das mit der Adventsdeko ist krass. Doch eine Stadt wie Wien zu illuminieren, braucht denke ich auch ganz schön viel Vorbereitungszeit. Da bin ich froh, dass wir draußen nur einen einzigen gelb leuchtenden Herrnhuther Stern aufhängen werden. Selbstverständlich erst kurz vor dem 1.12. Doch auch ich muss die Adventskalender der Kinder rechtzeitig vorher fertig stellen und verschicken und natürlich auch den Adventskalender für Paare jetzt im November bereits zusammen stellen, damit pünktlich alles zum 1.12. dann am Start sein kann. ich freu mich über einen Artikel zu deiner Advents- und Weihnachtsdeko und lade dich ein, auch hierzu eine Blogparade zu starten, denn das wird bestimmt bunt und spannend, zumal es viele Geschichten rund um Kranz und Baum geben dürfte….
Liebe Evi, vielen Dank für deinen Kommentar! 12-von-12 macht mir ja ganz besonders viel Spaß – und da möchte ich immer besondere Geschichten erzählen. Der unbekannte Selige Pater Schwartz ist so ein Kuriosum. Daher wollte ich ihn mal in einem meiner 12-von-12 „vorstellen“.
Betreffend Seligsprechung: Für eine Seligsprechung braucht es ein Wunder. In Rom prüften fünf Ärzte den Verlauf einer Operation, die 1972 in Wien stattgefunden hat. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass das Überleben der Patientin medizinisch nicht erklärbar war. Dieses „Wunder“ wurde Pater Schwartz zugeschrieben, an den sich der Ehemann der Patientin in seiner Not gewandt hat.
Diese Zeichen haben wie eingravierte Gaunerzinken ausgeschaut!
LG – Uli
Guten Morgen Uli,
was für ein toller Spaziergang durch Wien! Dein Fensterblick könnte mir auch gefallen – aber nicht, dasz ich meine Dach-Aussicht je aufgeben würde! – und besonders das erste Foto der Schienen hat es mir angetan. – Ein Sehnsuchtsbild für mich…
Seltsame Bestattungsriten hatten die Habsburger – da ziehe ich denn doch das heutige Organsprenden vor, wenn Zerschnippeln denn schon sein musz –
Netflix habe ich nicht (würd ich mir schon manchmal wünschen), nicht mal einen TV derzeit…aber um eine Abendgestaltung war ich trotzdem noch nie verlegen.
Und: ich mag Deinen Humor!
Liebe Grüsze und eine gute neue Woche
Mascha
Danke, liebe Mascha! Das Foto mit den Gleisen habe ich auf dem Rustensteg beim Westbahnhof aufgenommen. Ich muss da nochmals hingehen, um den Sonnenuntergang besser einzufangen.
In Wien gibt es am Zentralfriedhof auch ein Bestattungsmuseum – das wäre sicher auch einen 12-von-12-Artikel wert.
LG – Uli
Ich hab gerade lachen müssen, dass du nach der morbiden Mumiengeschichte Hunger bekommst, mir wäre er eher vergangen ;-))
Ein wirklich schöner Spaziergang, ich bin so selten in der Innenstadt und eher dann, wenn ich etwas zu besorgen habe…
lg
Mein Abendessen war vegan! 🙂 Reis-Gemüsepfanne und Salat.
Ich bin auch nicht oft in der Innenstadt, weil mir zu viele Touristen unterwegs sind.
Wenn, dann versuche ich, die Haupt-Touristenspots zu meiden – aber gestern wollte ich ja die Fotos …
LG – Uli
Das war ein lehrreicher Einblick in Deinen Tag. Vielen Dank dafür.
Vielen Dank, liebe Birgit! Ich mag es sehr gern, meinen 12-von-12-Artikel mit Historischem zu verbinden – und da bin ich in Wien ja am perfekten Ort dafür.
LG – Uli
Einsame Spitze!
Kein Wunder, dass du Wien so magst.
Material ohne Ende.
Erschauderte Grüße Luise 🌞
Herzlichen Dank, liebe Luise!
Stimmt, in Wien (und Umgebung) geht mir das Material nicht so schnell aus. Ich liebe diese Spaziergänge durch die Stadt.
LG – Uli
Wunderbare Augenblicke … ich höre dir zu und staune. Dein Sonntagsspaziergang fühlt sich wie eine kleine Weltenreise an. Ich wünsche dir eine geruhsamen Sonntagabend. Liebe Grüße Romy
Danke, liebe Romy! Es hat sich für mich auch ganz so angefühlt – und plötzlich hat mich so ein Glücksgefühl in mir ausgebreitet! Einfach fantastisch!
LG – Uli