Mia Brummer fragt in ihrer Blogparade: Wozu sind Frauen ab 50 überhaupt noch gut?
Und sie ist einfach beantwortet: Wir sind für ALLES gut!
Dass diese Frage in unserer Gesellschaft überhaupt gestellt wird, zeigt den hohen Grad an patriarchalen Strukturen, denen wir noch immer tagtäglich ausgesetzt sind und die wir scheinbar widerspruchslos zulassen.
Ich frage mich entsetzt und enttäuscht:
Ist die Emanzipationsbewegung irgendwo stecken geblieben, ohne dass ich es mitbekommen habe, sodass sich Frauen (aller Altersgruppen) auch im Jahr 2022 noch hauptsächlich über Männer und deren Ansichten definieren?
Im Südwesten von England
Es ist der Sommer 1910. Und in Bristol, im Südwesten Großbritanniens, scheint die Sonne über den Fluss Avon. An der Promenade geht die 33-jährige Bessie spazieren. Bessie ist alleinstehend. Eine Tatsache, die in ihrem Alter eine peinliche Angelegenheit ist. Nach damaliger Auffassung sollten Frauen bis spätestens 23 verheiratet sein. Die Situation wird dann verzweifelt, sobald die Frauen 27 Jahre alt und nicht verheiratet sind. Mit 30 ist dann sowieso alle Hoffnung verloren und wenn Bessie an der Promenade entlangspaziert, gilt sie mit 33 schon als alte Jungfer. An jenem Sommertag ändert sich ihr Leben grundlegend, denn sie trifft einen gewissen Henry Williams. Vielleicht verliebt sich Bessie tatsächlich auf den ersten Blick, aber vielleicht ist es auch der gesellschaftliche Druck, endlich einen passenden Ehemann zu finden. Jedenfalls lässt sie sich überreden, mit ihm aus Bristol wegzulaufen.
Aber nicht nur Bessie, auch zwei weitere Frauen, Alice und Margaret, werden in den kommenden Jahren Opfer des Serienmörders George Joseph Smith, der sie beraubt und dann ertränkt. In der Episode „Die Bräute in der Badewanne“ des Podcasts „Die Schwarze Akte“ wird die Geschichte der drei Frauen erzählt, die damals symptomatisch für eine Armee an „Alten Jungfern“ sind. Mit 33 Jahren hoffnungslos, denn kein Mann hat sie bisher angeschaut und erwählt.
Das war damals, aber heute, heute sind wir emanzipierter. Tatsächlich?
Mitten in Deutschland
Alter und Aussehen der Frauen waren egal. Vor allem sollten sie wenig soziale Kontakte haben, schnell einziehen, abhängig werden. Sie kamen, gelockt von Annoncen, die einsamen Frauen Liebesglück versprachen. Annoncen wie: „Fischmann, 45 J., 1,86, humorvoll, häuslich, sucht umzugswillige SIE für gemeinsame Zukunft“. Es müssen viele Frauen gewesen sein, die er in seinen Bann zog. So nachzulesen im Spiegel-Artikel: Eine Welt grausamer Unterwerfung.
Er, das ist Wilfried W.; auf den Prozess-Bildern wirkt er auf mich plump, mit deutlichem Bauchansatz, Hamsterbacken und Geheimratsecken, wahrlich kein Adonis. Es ist das Jahr 2018 und wir sprechen vom Horrorhaus von Höxter. Die forensische Psychiaterin Nahlah Saimeh attestiert Wilfried einen IQ von 59. Im juristischen Jargon hat er laut Gutachterin damit das Merkmal des Schwachsinns erfüllt.
Wie viele Frauen auf der Suche nach Glück und dem Traum nach Liebe genau Opfer von ihm werden, kann auch der Prozess nicht endgültig klären. Zwei Frauen sterben an der unmenschlich grausamen und brutalen Folter, der sie jahrelang ausgesetzt sind. Dennoch bleiben sie, in einem vermüllten und verschimmelten Haus, versuchen verzweifelt, die absurden Regeln, die Wilfried W. aufgestellt hat, zu erfüllen. Besser irgendein Mann als mit der Schande „übriggeblieben“ zu sein, zu leben, frage ich mich?
Im Englischen gibt es die Redewendung „any port in a storm“ – und es wird auch heute noch für Frauen verwendet, die von außen betrachtet unmögliche Beziehungen eingehen bzw. in ihnen bleiben. Jeder Hafen (d.h. jeder Mann) ist gut genug für eine einsame und verzweifelte Frau, die noch keinen Mann abgekriegt hat, so die zynische Erklärung.
Ich könnte endlos mit Kriminalfällen und Femiziden weitermachen, in denen Frauen Opfer von Tätern werden, die genau das ausnutzen: Den noch immer vorhandenen gesellschaftlichen Zwang für Frauen, durch die Augen der Männer gesehen zu werden. Die Fälle, die vor Gericht landen, sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Auswirkungen des Patriarchats sind viel weitreichender.
Nicht widersprechen, angepasst, lieb und hilfsbereit sein, die ganze Sorgearbeit übernehmen, das eigene Leben selbstverständlich zurückstellen, hübsch und ansprechend aussehen, dazuverdienen. So wird das von uns auch im Jahr 2022 erwartet. Wenn wir nicht so sind, dann sind wir Karrierefrauen, Rabenmütter, Mannweiber, im schlimmsten Fall „Übriggebliebene“ oder „Verlassene“. Wir werden als hysterisch, kratzbürstig, zickig und frigide verunglimpft. Oder umgekehrt, als Flittchen und Tussis. Wir sollen funktionieren. Und wenn wir 50+ sind, sind wir dann „damaged goods“, eine Ware, die so beschädigt ist, dass sie niemand mehr will, und auf die man nur einen mitleidigen oder angeekelten Blick wirft?
Weniger Einkommen, weniger Vermögen und weniger in der Öffentlichkeit präsent. So schaut leider auch im Jahr 2022 die Lebensrealität von vielen Frauen aus.
Der steinige und lange Weg aus der Abhängigkeit
Wir sind weit gekommen, aber bei weitem nicht weit genug. Es gibt noch viel zu tun.
Wir sollen uns gar nicht fragen, wozu wir Frauen gut sind und ob wir ab 50 zum alten Eisen gehören. Wir sollten uns besser fragen, wie wir eine Gesellschaft erreichen können, wo es eine soziale und finanzielle Gleichstellung der Geschlechter gibt. Eine Gesellschaft, in der diese Frage genauso absurd ist, wie die Frage, wozu denn Männer mit 50+ noch gut sind.
Was sollen Frauen ab 50 verstärkt tun
- Füreinander da sein und einander sehen
- Mentorinnen für Mädchen und jüngere Frauen sein
- Sie darin bestärken, dass auch sie alles können und es gut ist, für ihre Rechte einzustehen
- Sich aus dem Korsett der überkommenen Erwartungen befreien und die junge Generation darin unterstützen
- Frauen nicht ausgrenzen, die den gängigen Klischees nicht entsprechen
- Geld nicht als etwas sehen, was für Frauen nicht so wichtig ist
- Keine Zeit darauf verschwenden, in den Augen der Männer gefällig zu wirken
- Sich noch mehr Lachfältchen zulegen und stolz darauf sein
- Die eigenen Ziele herausfinden und in die Tat umsetzen
Wer bin ich
Ich bin Uli Pauer, Entrümplerin und Femininistin. Ich unterstütze (offline und online) Menschen (hauptsächlich Frauen), die gerne ausmisten und eine neue Ordnung schaffen wollen. Um so zu mehr äußerer, aber auch innerer Klarheit und Ruhe zu kommen. Um mehr Freiheit, Freizeit und Unabhängigkeit zu gewinnen. Denn wir haben keine Zeit zu verlieren. Und Sachen, die physisch und mental im Weg sind, blockieren auf vielfältige Weise unsere wichtigsten Ressourcen: Zeit und Energie.
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