Mascha: Auf der Sonnenseite – oder: Dinge sind freundlich

Ich freue mich sehr, dass meine Blogger-Kollegin Mascha uns ihr Haus im Harz öffnet. Mascha schreibt und fotografiert, um die Schönheit zu teilen, die sie sieht. Dieses Wohngespräch ist poetisch und berührt direkt das Herz.

Mascha sagt über sich selbst:

Ich liebe alte Häuser und Fabriken, Schlösser, Parks, Gärten, Blumen, Katzen, Engel … wunderschöne Bildbände, Gedichte, die Jahreszeiten und Farben in der Natur … Vintage-Kleidung und vieles mehr.

Hier kommt ihre Wohngeschichte, die sie mit vielen wunderschönen Bildern illustriert hat:

Das alte Haus

Das kleine Fachwerkhaus steht seit fast 170 Jahren.
Ein Haus voller Geschichten, die ich nicht kenne.
Nur die eine, dasz es mir durch einen völlig unerwarteten Glücksfall einfach so zugefallen ist.
In einer Zeit, da ich Miete nicht mehr zahlen konnte.

Höchstens noch die für ein „Arbeiterschlieszfach“.
So nannten wir in der DDR die Ein-Raum-Plattenbauwohnungen:
25qm inklusive Kochnische, Dusche und Korridor.

Ich habe mehr Raumbedürfnis!
Raum, der mein Refugium ist, mein Rückzugsort.
Für Autisten das Ein und Alles.

Es steht auf der Sonnenseite, mit einem wunderbaren Blick.
Läszt Sonne hinein in die Fenster, wärmend und freundlich.

Kaufen hätte ich es nie können.
Und auch nicht sanieren.
Die ersten Jahre hab ich in Chaos und Lehmstaub verbracht.
Ein guter Freund  kam damals zwei bis dreimal im Monat zur Hilfe.
So konnte wenigstens das Allernötigste hergerichtet werden.

Nun ist keine Dachschräge mehr desolat und keine Lehmwand hat mehr Löcher.
Ansonsten nutze ich, was ich vorfand:
Schäbige Dielenbretter, die kein Abschleifen mehr aushalten und uralten Fuszbodenbelag von Ichweisznichtwann.

Mit schönen Farben, Teppichen und Dekoration läszt sich der Blick gut ablenken von der Schäbigkeit.
Shabby ist in Mode und hier ist es ganz und gar echt.

Die alte Hauswand verschwindet langsam hinter Wildrosen und Glyzinien.
Der geschmacklose Metallzaun ist von Knöterich überwachsen.

Ein Dach ist ein Obdach

Haus kommt von hausen.
Behausung.
Zuhause.
Haus halten.

Ein Dach überm Kopf.
Obendrüber.
Ein Ob-Dach.
Niemals obdachlos sein oder werden.

Leben, aufs Elementarste reduziert.
Nicht Wärme suchen müssen über einem Lichtschacht oder in Tiefgaragen.
Windschutz unter Brücken oder im fensterglaslosen Abriszhaus.

Ein Schlafsack.
Ein Rucksack.
Ein Blechpott.
Taschenmesser.
Gaskartusche.
Leichtes Alubesteck.

Sich notdürftig waschen im Bahnhofsklo – das ist Minimalismus von unten.
Nicht der trendiger Lifestyle, bewuszt so erwählt.
Solchem Leben fehlt jegliche Stabilität, die ich ganz besonders nötig brauche.
Die ich jetzt für immer habe, glücklich, dankbar und froh.

Bücher sind meine Freunde

Ein Raum für meine Bücher.
Sie sind meine besten Freunde.
Ich mag die zum Anschauen ganz besonders – ich bin sehr visuell.
Auch die zum Lesen, die voller schöner Sprache.

Sprachen mag ich sehr.
Nicht nur die Deutsche.
Auch Slawische, die ganz besonders.

Den Wohlklang von Wörtern, das Spiel mit ihnen auch.
Texte als Klang und als Gewebe.
Als Stoff, der mich auffängt und inspiriert.

Wer konnte je besser Wort-Weben als die grosze Friederike Mayröcker?
Meine sz-Schreibweise ist meine stille Hommage an SIE.

Vorn, mit Blick hinaus zur Strasze, steht der Esztisch für meinen Schatz und mich.
Hinten steht mein PC-Arbeitsplatz.
Vor dem Fenster zum Hof.
Ein Raum mit Durchblick sozusagen.

Sommers ist es hier angenehm kühl.
Herbstens scheint wärmend noch die Sonne herein.
Winters ist der nicht unterkellerte Raum ordentlich kalt.
Tägliches Heizen geht inzwischen nicht mehr.

Aber ich hab noch den Raum oben.
Und ein paar kleine Kammern dazu.
Der Raum mit dem Tisch vor hellen Fenstern ist mein Arbeitsraum.
Da entstehen Bildergeschichten und – Bücher.

Mayröckers Texte habe ich mir zum Teil – ganz für mich selbst – illustriert.
Und dazu natürlich mit der Hand abgeschrieben.
Durch die Hand ins Herz, das verschafft einen ganz neuen Zugang.
Wie er durch bloszes Lesen niemals entsteht.

Dinge sind freundlich

Ich hab sehr viele Dinge.
Dinge sind freundlich und geben mir Sicherheit.
Man erlebt mit Gegenständen keine bösen Überraschungen oder unerwartete, unverständliche Situationen.

Mit Menschen ist das ganz anders.
Da verstehe ich oft so vieles nicht.
Fühle mich hilflos, kann nicht adäquat reagieren, werde miszverstanden oder ausgegrenzt.

Dinge können meine Phantasie anregen und müssen mir vieles ersetzen:
Die oft schmerzhaft vermiszte Erlebnisqualität.
Kann ich doch weder reisen noch Ausflüge machen, Vernissagen und Theater besuchen, Seminare buchen, interessante Menschen treffen und all das.

Dafür ist das Geld nicht da und vor allem nicht die Mobilität … und überhaupt fehlt meinem Dasein jegliche Sozialstruktur.

Also mach ich mir mein Zuhause schön und kann mit manchen Dingen sogar reden.

Ein Stück Natur. Ganz nahe

Ich war immer ein Naturkind.
Ganz viel drauszen.
Herum stromernd alle Zeit.

Einen Garten wollte ich aber nie haben.
Plötzlich hatte ich nun einen, der war mir so zugefallen … und nach wenigen Wochen konnte ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.
Hab meinen grünen Daumen entdeckt.

Gerade beim Älterwerden, wenn das Laufen nicht mehr so funktioniert, ist ein Garten ein Segen, ein kleines Paradies.

Eine Dachterrasse mit einem Topf-Garten gibt es auszerdem.

Eine Katze bat im bitterkalten Winter 2011/12 bei mir um Asyl.
Nun gehört ihr das Anwesen hier. 

Auf der Sonnenseite

Vor mehr als 20 Jahren bin ich hier angekommen.
Auf der Sonnenseite im wahrsten Wortsinn.
Kann das Glück manchmal immer noch nicht fassen.

In einem ruhigen Stadtviertel zwischen angestammten Villenbesitzern und neureichen Erbauern.
In einem Viertel, in das ich nicht wirklich hinein gehöre.

Aber dieses Haus wurde schon früher das Armenhaus genannt.
So fand es wohl auch eher mich als umgekehrt …

Kontakte zu Nachbarn gibt es faktisch keine.
Hier zählt der menschliche Wert nach der Automarke.
Und ich hab nur ein einfaches Fahrrad …

Aber ich bin trotzdem glücklich mit der Fügung:
Solch ein ruhiges Viertel gewährt guten Schutz.
Vor Überfällen und Gewalt.

Die Welt der neuen Bundesländer ist ziemlich brutal.
Andersartigkeit wird da nicht toleriert.
Hier lebe ich unauffälliger und geschützter als in anderen Stadtvierteln.

Das Haus ist für mich keine Immobilie.
Sondern ein Gefährte.
Mit zunehmendem Gebrechen reden wir uns gegenseitig gut zu.
Es wird halten und zu mir halten – Schutz und Geborgenheit geben – solang ich es brauch.

Das ist das ureigene Wesen von Häusern.
So habe ich es oft beobachtet, über die Lebensjahrzehnte hinweg.

Mascha K.

Lebt seit 63 Jahren in Wernigerode.
Autistin, EU-Rentnerin, schwerbehindert.
Wortklangfetischistin, farbensüchtig, naturverbunden.
Bildergeschichtenerzählerin.
Bloggt und fotografiert gern, mag Katzen.

Mehr über Mascha erfährst du auf ihrem Blog:
https://maschas-buch.blogspot.de

Lust auf noch mehr Wohngespräche? Hier entlang, bitte!

20 Gedanken zu „Mascha: Auf der Sonnenseite – oder: Dinge sind freundlich

  1. Liebe Mascha, liebe Uli,

    Danke für dieses besondere, magische Wohngespräch. Mit den Dingen ist es wie mit den Menschen: Es ist, was wir daraus machen. Manchmal passen viele Dinge.

    Alles Liebe – euch Beiden

    Korina

  2. Was für ein schöner, poetischer Text! Er hat richtig gefangen genommen. Die Fotos von Maschas kleinem Paradies illustrieren wunderbar das Gefühl des Angekommenseins. Ich war im Frühsommer im Harz – auch in Wernigerode – und kann mir gut vorstellen, wie es sich dort lebt im Positiven wie im Negativen, was Mascha auch anspricht. Danke euch beiden für dieses berührende Wohngespräch.
    Liebe Grüße,
    Angelika

    1. Vielen Dank, liebe Angelika. Wernigerode wird als „bunte Stadt am Harz“ bezeichnet – und auch Maschas Artikel strahlt dieses Farbenpracht aus.
      LG – Uli

  3. Liebe Mascha, liebe Uli, vielen lieben Dank für diesen wundervollen Blog Artikel. Die Fotos sind so unfassbar stimmungsvoll. Die Texte sind so schlicht und doch so brillant. Es ist so eine schöne Komposition! Wie wohltuend, dass das Wohnen wertgeschätzt wird. Wir nehmen alles für so unfassbar selbstverständlich. Doch aus deinen Zeilen spricht zu viel Demut, liebe Mascha. Ich ich wünsche dir weiterhin ganz viel stilles Glück mit deinem Heim und dass sich eure Gebrechen in Grenzen halten.

    1. Herzlichen Dank, liebe Evelyn. Das nehme ich auch von Maschas Artikel mit – dass unsere Wohnungen und Häuser auch Gefährten sind, die uns schützen und wärmen.
      LG – Uli

  4. Liebe Mascha, liebe Uli,
    Ich lese hier eine sehr besondere und eine berührende Geschichte des Lebens und des Glücks. Ganz zauberhaft geschrieben. An außergewöhnlichen Orten wohnen eben auch außergewöhnliche Menschen. Die Ideen ein Haus als Gefährte zu bezeichnen gefällt mir. Und letztlich ist es auch so. Eine Wohnung oder ein Haus spiegelt auch immer etwas von unserer Seele wieder und umgekehrt, so wie bei dir, liebe Mascha.
    Dank an Uli für diese Geschichte.
    Herzliche Grüße, Birgit

    1. Das Haus als Gefährte hat mich auch sehr berührt. Es gibt uns Schutz und Unterkunft. Während ich diesen Kommentar tippe, höre ich den intensiven Regen von draußen und bin auch glücklich, dass ich einen Gefährten habe, der mich trocken hält.
      LG – Uli

  5. Vielen lieben Dank, dass du uns die Tür nicht nur für dein Haus, sondern auch zu deinem inneren geöffnet hast. Ich fühle mich reich beschenkt durch diesen Text.

  6. Was für ein zauberhafter Ort zum Leben für einen außergewöhnlichen Menschen. Welch ein Glück, dass ihr beide euch gefunden habt. Danke für den Einblick in dein Reich und dein Leben, liebe Mascha. Sehr schön geschrieben! Hat mich sehr berührt.

    1. Vielen Dank, liebe Kerstin. Die Wohngespräche machen mir mehr und mehr Freude, weil sie so verschieden sind und die Leserinnen einen tiefen Einblick bekommen können.
      LG – Uli

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