Dienstag, der 12. Dezember 2023 ist der 346. Tag des gregorianischen Kalenders, somit bleiben 19 Tage bis zum Jahresende. Das Wetter in Wien ist feucht und mild; die Temperatur steigt auf rund 10 Grad. Es gibt einen Mix aus Sonnenschein und Wolken. Vom Schnee der vergangenen Tage ist nur wenig übrig geblieben. Pünktlich um 6:30 erscheint nicht der Märchenprinz, sondern die Müllabfuhr.
Travnicek: Mi hat neulich ana aufg’weckt.
Helmut Qualtinger und Gerhard Bronner in Travniceks Weihnachten
Freund: Mit an Kuss?
Travnicek: Na, mit an Moped. Was glaubn’s, was i dem dazählt hab!
Am 12. Dezember 1825, d.h. vor 198 Jahren, erfolgte die feierliche Grundsteinlegung für den Wiener Stadttempel in der Seitenstettengasse in der inneren Stadt.
Diese Synagoge ist die einzige von Wiens einst etwa 25 Synagogen und 70 Bethäusern, die nicht im Novemberpogrom im November 1938 zerstört wurde. Da sie versteckt hinter der Fassade eines Gebäudes inmitten der dicht bebauten Innenstadt steht, haben die Nazis davon abgesehen, sie in Brand zu stecken.
Entsprechend den zur Bauzeit gültigen Vorschriften mussten nicht-katholische Gotteshäuser verborgen werden und durften nicht unmittelbar von der Straße aus sichtbar sein.
Es klingt wie eine Ironie der Geschichte: Diese „Vorschrift“ der Ungleichbehandlung hat den Tempel vor dem Feuer gerettet, denn er steht geschützt inmitten von Gebäuden.
Die Fotos in den Fenstern zeigen die 137 Geiseln, die seit 67 Tagen in den Fängen der Hamas-Terroristen in Gaza sind.
Heute beginnt in Wien der Christbaumverkauf. Am Platz vor der Kirche sind erst spärlich Bäume ausgepackt und aufgestellt. Wie immer, kommen sie aus dem Waldviertel.
Den ersten historisch bezeugten Weihnachtsbaum in Wien stellte die Jüdin Fanny von Arnstein 1814 auf. Fanny war eine vornehme und gebildete Dame der Wiener Gesellschaft und in ihrem Salon trafen sich prominente Vertreter aus Diplomatie, Politik, Wissenschaft, Kunst und Journalismus. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
Bei Arnsteins war vorgestern ein sehr zahlreiches Weihnachtsbaum- oder Christbaumfest. Alle gebetenen, eingeladenen Personen erhielten Geschenke oder Souvenirs vom Christbaum. Es wurden nach Berliner Sitte komische Lieder gesungen.
Hilde Spiel: Fanny von Arnstein
Offenbar waren wir in Wien – was Christbäume betrifft – etwas langsam. Goethe erwähnt bereits 1774 den Weihnachtsbaum in seinem Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“. Die von Werther sehr verehrte Lotte erzählt ihm von verzückten Kindern und einem aufgeputzten Baum mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln.
Goethe zu Ehren mache ich heute einen kleinen Spaziergang zum Goethehof.
Der Goethehof in Kaisermühlen, ein Gemeindebau mit damals 727 Wohnungen, wurde 1932 eröffnet und zum Andenken an Johann Wolfgang von Goethes 100. Todestag nach ihm benannt. Wenn man durch die weitläufige Anlage spaziert, hat man das Gefühl, sich in einer eigenen Kleinstadt zu befinden.
Bereits kurz nach der Eröffnung des Goethehofs kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und den mehrheitlich sozialdemokratisch gesinnten Hausbewohnern.
Ab 1938 wurden zahlreiche jüdische Mieterinnen und Mieter zwangsdelogiert. In diversen Listen findet sich ein jüdisches Bethaus an der Adresse Schüttaustraße 45, das im Novemberpogrom 1938 zerstört wurde. Trotz einiger Recherchen kann ich nicht mehr herausfinden; auch die historischen Zeitungen geben nichts her.
Mein erstes Weihnachtsgeschenk kommt an. Vom österreichischen Dichter Franz Grillparzer. Der zweite Dichterfürst an nur einem Tag.
Ich fühle eine gewisse Verbindung zu Franz Grillparzer. Er ist Autor einer der schlechtesten Theateraufführungen – Des Meeres und der Liebe Wellen – die ich je gesehen habe. So eindrucksvoll furchtbar besetzt und gespielt, dass ich mich fast 40 Jahre danach noch daran erinnere. Auch wenn er daran nicht schuld ist: Sein Name ist unauslöschlich mit diesem Fiasko verbunden.
Und er hat ein grantiges Reisetagebuch – Das habe ich mir anders vorgestellt – verfasst. Schon bei der Abfahrt in Wien schreibt er:
Meine Laune ist schwer zu beschreiben. Mir war zumute wie einem, der nicht aufs Wasser, sondern ins Wasser geht.
Ich kann es ihm so gut nachfühlen. Exakt so ist bzw. war meine Stimmung vor jeder Reise. Und genau wie Grillparzer, habe auch ich viele Reisen unternommen, um es mir zu beweisen, dass ich es kann.
Er hofft, „Großartiges“ zu sehen, doch die Reise steht unter keinem guten Stern:
Durchfall, Seekrankheit, Regen, üble Kost, miese Quartiere, schlechte Straßen, lästige Reisegefährten, unverschämte Preise, Herbststürme, Langeweile, Quarantänebestimmungen … noch dazu tobt in Athen die Revolution, und Grillparzer muss fürchten, für einen Bayern gehalten zu werden!
Grillparzer hatte mit seiner Langzeitverlobten und Vermieterin Katty Fröhlich sicher jemand, die gut für ihn sorgte – wenn er nicht im Amt oder auf Reisen war. In seinen Briefen nennt er sie: Hochschätzbares, verehrtes, beinahe vergöttertes Fräulein! Und: Schönster Engel!
Ich muss mir mein Mittagessen selbst herrichten. Es gibt einen Salat mit Tomaten, Gurken, Paprika, Stangensellerie und Avocado. Dazu ein Lachsbrötchen.
Nach dem Essen mache ich einen unproblematischen Spaziergang ans Wasser, zur Alten Donau, die in unmittelbarer Nähe zu meiner Wohnung ist. Kurz kommt die Sonne heraus und ich genieße den Blick in Richtung Gänsehäufelbad.
Ein paar Meter weiter und ein paar Minuten später ändert sich die Lage. Die Sonne verzieht sich und taucht die Alte Donau und den Polizeisportverein in mystisches Nachmittagslicht.
Ich mache mich wieder auf nach Hause, genieße ein gutes Abendessen und zünde zwei Kerzen an meinem Adventkranz an.
Da ich schon ein wenig weihnachtlich gestimmt bin, hole ich die Weihnachtskrippe hervor. Sie ist schlicht und würde eventuell sogar Josef II. gefallen. 1782 ließ Josef II. große Weihnachtskrippen aus den Kirchen verbannen. Seiner Ansicht nach waren sie lächerlich, kindisch, unnötig und lenkten nur ab.
Sie haben sich dennoch oder trotz dieses Verbots durchgesetzt und sind Teil des alpenländischen Brauchtums.
Du hast bis hierher gelesen und willst noch mehr 12-von-12-Artikel von mir lesen. Hier entlang geht’s zu meinem Augenblickstagebuch:
Hier lese ich immer wieder gern mit, obwohl ich ansonsten die Blogbeiträge der Coaching-Frauen wegklicke. Die Fotos sind sehr beeindruckend.
Liebe Uli,
Du hast mich schon beim Einstieg (mit der Müllabfuhr) voll mitgenommen, da musste ich so lachen. Was für ein toller und lehrreicher Artikel und Deine Fotos von der Donau sind so farbgewaltig, einfach schön. Ich freue ich schon auf den Januar.
Liebe Grüße, Susanne
Guten Morgen Uli,
danke für diesen vielfältigen und hochinteressanten Beitrag. Mit dem Reisen ging es mir oft ansatzweise ähnlich… und WEien hinkt offenbar immer noch hinterher mit Weihnachen: bei uns werden schon lange Weihnachtsbäume verkauft. Nicht, dasz ich mir da je einen davon mitnehme… Und: Krippen zu verbannen, nein sowas! 😉
Wernigerode hat die Tradition eines „Krippenweges“ ins Leben gerufen, da pilgert man durch die Stadt und kann in/vor Kirchen und diversen Geschäften und in Fenstern von Privathäusern die Vielfalt der Krippen bewundern – manche sind tatsächlich einzigartig oder geschmachvoll – –
Ich musz mal schauen, ob ich die Weihnachtsgeschichte wiederfinde, die vor Jahren mal durchs Web geisterte… wobei, ich selbst hab auch mal eine geschrieben. Die war allerdings gar nicht lustig.
Liebe Grüsze aus dem verregneten kalten Harz
Mascha
Liebe Uli, wie immer sehr lehrreich, dein 12 von 12. Bei den Krippen muss ich aber Einspruch erheben: Die hatten wir auch daheim in Duisburg, definitiv weit weg vom Alpenland. Von einem Holzwerker am Arber geschnitzt. Ich muss mal sehen, ob ich davon noch Bilder auftreibe. Definitiv NICHTS für Josef II., weil sehr plastisch ausgearbeitet.
Danke für deinen Tag!
Liebe Grüße Ulrike
Wunderbar liebe Uli. Ich bin dir gebannt gefolgt. Traumhaft auch deine Fotografien der alten Donau.
Du hast eine exzentrische Art die Kerzen auf deinem Adventskranz anzuzünden. Eine wird dabei einfach übersprungen und so brennen die zwei Visavis- Kerzen. Möchtest du vielleicht unbewusst auf diese Art die Wartezeit auf Weihnachten verkürzen? Du bist doch sonst nicht so ungeduldig. Liebe Grüße von deiner Wirtshausliteratinnen-Freundin Romy
Liebe Uli,
was für ein spannender Tag mit fast unwirklich schönen Panoramen! Dass die Ungerechtigkeit eine Synagoge schützt, ist auch sehr originell, um es mal euphemistisch zu sagen.
Danke für die Ein- und Ausblicke in deinem Artikel, es war mir eine Freude.
Liebe Grüße,
Silke