12 von 12: Mein 12. Januar 2023: Das kriminelle Wien

Donnerstag, der 12. Januar 2023 ist der 12. Tag des gregorianischen Kalenders, somit bleiben 353 Tage bis zum Jahresende. Das Wetter in Wien ist mild, sonnig und sehr windig; mit einer Maximaltemperatur von 12°C. Ein wunderschöner Wintertag, der sich bereits frühlingshaft anfühlt. Während ich hier schreibe, höre ich draußen schon aufgeregt die Vögel zwitschern.

01: Am Weg zur Bäckerei

Frühstück ist mir wichtig. Daher mache ich mich schon im Morgengrauen (im Winter bei mir um 8:00) auf den Weg in die Bäckerei. Heute sehe ich drei Rauchfangkehrer, die eilig die Schiffmühlenstraße hinunterlaufen. Ich interpretiere diese Begegnung sofort als Glückstag für mich. Was sich später – in der Augustinerstraße – noch bewahrheiten wird.

02: Eine Wiener Institution: Der Brannweiner

Mein Weg führt an einem der wenigen verbliebenen Wiener Branntweiner-Lokalen vorbei. Das Wort „Lokal“ ist etwas hoch gegriffen; es handelt sich um eine kleine Stube, die mit einer alten Holzbank, einem schäbigen Tisch und schiefen Stühlen ausgestattet ist. Die Tür steht immer offen, aber dennoch habe ich es bisher noch nie gewagt, einzutreten. Ein typisches Tschecherl oder Tschocherl, wie wir das in Wien nennen. Mit der typischen Klientel aus Trinkern, die schon um 6:00 in der Früh ihren Schuss Schnaps brauchen. Seit ich in den 1990er Jahren nach Kaisermühlen gezogen bin, hat sich an und in diesem Lokal absolut nichts geändert. Auch das „Schaufenster“ ist gleich geblieben. Einzig der am Fensterbrett stehende Aschenbecher dürfte seit der Einführung des Rauchverbots seinen Weg nach draußen gefunden haben.

03: Lockenwickler and the City

Heute mache ich einen Ausflug in die Wiener Innenstadt und ich treffe mich zum Mittagessen mit meinem Mann und einem Freund am Naschmarkt. Da müssen selbstverständlich auch die Haare passen. Ich bin ein großer Fan von Lockenwicklern generell und von Lockenwickler-Selfies im Speziellen. Außerdem liebe ich mein Botero-Poster der Badenden, das mich schon seit mehr als 30 Jahren begleitet.

04: Der Stephansdom ist eine ewige Baustelle

Am 12. Jänner 1522 (übrigens auch ein Donnerstag) hält der ehemalige katholische Priester und evangelische Prediger Paul Speratus eine Predigt im Wiener Stephansdom, in der er das Zölibatsgelübde angreift. Daraufhin wird er als Häretiker exkommuniziert. Manche Dinge brauchen lang, sehr lang. Auch 501 Jahre später ist die katholische Kirche in der Frage des Zölibats noch nicht weitergekommen. Ob der Wind, mit dem die Bauarbeiter kämpfen, wohl ein geheimes Zeichen des Heiligen Geistes ist?

05: Selbstporträt des Dombaumeisters Anton Pilgram

Am Jahrestag dieser Predigt gehe ich in den Stephansdom. Vor 501 Jahren waren wohl mehr Gläubige in der Kirche als heute. Ich stelle mir vor, dass der Auftritt des Predigers ein Event war, bei dem auch viele Geistliche anwesend waren. Schließlich löste diese Predigt seine Exkommunikation aus. Heute tummeln sich vor allem Touristen im Dom. Wie so oft finde ich es sehr schade, dass ich keine Zeitreise machen kann.

06: Herrensauna Kaiserbründl

Am Weg zur Franziskanerkirche komme ich bei der luxuriösen und exklusiven Herrensauna „Kaiserbründl“ in der Weihburggasse vorbei. Der Eingang ist sehr schlicht und weist nicht darauf hin, dass sich in den Kellern des Hauses opulente Räumlichkeiten befinden.

Das Kaiserbründl ist auch der Schauplatz eines mysteriösen Vermisstenfalls. Am Abend des 7. Oktober 2007 rennt der damals 34-jährige Aeryn Gillern panisch und nackt aus der Sauna – und er ist bis heute vermisst. Zeugen wollen ihn am Donaukanal gesehen haben, aber dann verliert sich seine Spur. Bis heute kämpft die Mutter von Aeryn dafür, dass der Fall aufgeklärt wird. Viele Vermutungen und Gerüchte ranken sich um das Verschwinden von Aeryn. War es Mord, ein Unfall, Suizid? Waren Drogen im Spiel? Hatte er mit jemandem Streit? Wurde er bedroht? Welche prominenten Persönlichkeiten waren an diesem Tag in der Sauna? Wird etwas verschwiegen oder verdeckt?

Ich finde es jedenfalls seltsam, dass es so wenige Zeugen gibt. Ein splitterfasernackter Mann läuft an einem warmen Oktober-Abend durch die Wiener Innenstadt und niemand bemerkt etwas?

Ich verlinke hier den Kurier-Artikel sowie die absolut empfehlenswerte und akribisch recherchierte Episoden „Lauf ums Leben“ des Kurier-Podcasts „Dunkle Spuren“.

Kurier-Artikel: Der Vermisstenfall Aeryn Gillern
Podcast-Episode: Lauf ums Leben 1/2
Podcast-Episode: Lauf ums Leben 2/2

07: Franziskanerplatz

Vis-a-vis des Kaiserbründls befindet sich der malerisch gelegene Franziskanerplatz mit der Franziskanerkirche. Eine der Vermutungen ist, dass Aeyern hinter den dicken Mauern der Kirche oder des angrenzenden Hauses verschwunden sein könnte.

In der Kirche befindet sich eine spätgotische Madonna: Maria mit Kind und Axt. Auch um diese Figur ranken sich verschiedene Legenden. Meine Vermutung ist, dass der Künstler es irgendwann satthatte, weiter an der Madonna zu arbeiten und sein Werkzeug einfach zurückließ. Oder er wollte eine wehrhafte Frau und Mutter schaffen.

08: Maria mit Kind und Axt

Ich bin schon spät dran und beeile mich, zum Naschmarkt zu kommen, wo ich mich mit meinem Mann Jim und unserem Freund Don treffe. Wir wollen eigentlich ins Neni gehen, können es aber nicht finden und entscheiden uns fürs „Orient and Occident“. Ich kann nicht anders, als es Orient and Accident zu nennen.

9: Mittagessen am Naschmarkt

Ich frage mich, wozu ich Lockenwickler in meine Haare gegeben habe. Der Wind zerstört meine Frisur natürlich sofort. Das tut der guten Laune aber keinen Abbruch. Schließlich gibt es gleich etwas zum Essen. Ich entscheide mich für eine Falafel-Bowl und ein Glas Gelber Muskateller. Zugegebenermaßen werden es zwei Gläser. Mein Mann vergleicht mich mit Hemmingway, der angeblich auch seine besten Texte dann schrieb, nachdem er etwas getrunken hatte.

Gestärkt vom guten Essen gehe ich zurück in die City. Schließlich will ich noch einen historischen Kriminalschauplatz besuchen.

10: Augustinerstraße 12: Haus der Blutgräfin Elisabeth Báthory

Ich begebe mich zum Haus der 1611 als „Blutgräfin“ verurteilten Serienmörderin Elisabeth Báthory in der Augustinerstraße 12. Die Lärmbelästigung durch Schreie soll so arg gewesen sein, dass die Augustinermönche, die auf der anderen Straßenseite wohnten, Blumentöpfe auf die Fenster der reichen Gräfin warfen.

Die Prozessunterlagen schildern, dass die reiche ungarische Adelige Elisabeth Báthory viele junge Mädchen auf ihre Burgen und in ihre Häuser lockte. Dort folterte sie ihre Opfer (die Zahl schwankt von 38 bis zu 650) auf brutale und sadistische Weise zu Tode. Sie soll in deren Blut gebadet haben, um damit auf ewig jung zu bleiben. Erst als sie begann, auch adelige Frauen zu töten, wurde ihr der Prozess gemacht. Nach 4 Jahren Hausarrest (!) starb sie auf ihrer Burg in Čachtice.

Sie inspirierte Bram Stoker zu seinen Dracula-Romanen und gilt als Urmutter der weiblichen Vampire.

11: Innenhof des Hauses Augustinerstraße 12

Der Hof ist nicht für die Allgemeinheit zugänglich. Daher freue ich mich umso mehr, dass sich heute für mich zufällig das Tor öffnet und ich den wunderschönen Innenhof bestaunen kann. Dennoch könnte ich mir nicht vorstellen, hier in diesen alten Gemäuern zu wohnen.

Es wird Zeit, dass ich wieder nach Hause fahre, um den Artikel zu schreiben. In Kaisermühlen angekommen, atme ich auf. Die Kriminalschauplätze haben ein beklemmendes Gefühl hinterlassen, denn hier handelt es sich nicht um Fiktion, sondern um wahre Verbrechen. Außerdem hat das lange Gehen auf dem harten Asphalt meiner Hüfte nicht gutgetan und ich hinke.

12: Hier ist Kaisermühlens „Drogenumschlagplatz“ Nummer 1

Bevor ich endgültig nach Hause fahre, muss ich noch ein heute fälliges Buch zurückzubringen. Schon seit frühester Kindheit versorge ich mich in den Büchereien mit der für mich überlebenswichtigen Droge Buch. Diese Filiale befindet sich im Goethehof, der einer der größten Gemeindebauten in Wien ist.

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14 Gedanken zu „12 von 12: Mein 12. Januar 2023: Das kriminelle Wien

  1. Auch als Wienerin kannte ich nicht alle Begebenheiten, die du heute ausbreitest, sehr gruselig heute. Und ich würde auch nicht dort wohnen wollen, wo die Blutgräfin zugange war…
    lg

  2. …als würde ich locker neben dir durch die Straßen hüpfen….ich fühle den Wind….höre deine Stimme, die ich nicht kenne ;)….. und schau immer genau in die Richtung, in die du zeigst…was du erzählst klingt so spannend.
    PS.: Ich wäre gerne mit dir in die alte Kneipe gegangen und hätte gerne gesehen, ob deine Vorstellung stimmt. lg Marion

    1. Gemeinsam mit dir wäre ich zum Branntweiner gegangen, liebe Marion. Aber alleine hatte ich nicht genug Mut. Danke für dein tolles Feedback!
      LG – Uli

  3. Liebe Uli,
    unglaublich, Wien scheint voller spannender Schauergeschichten. Danke, dass du uns auf den wunderschönen Spaziergang mitgenommen hast. Vor lauter Arbeit komme ich selbst nicht raus, da ist das ein kleiner Ersatz.
    Liebe Grüße
    Vanessa

  4. So did it work, the Elisabeth Bathory methodical search for eternal youth through blood baths? Sounds like a winning business idea, no? And I always thought Bram Stoker was
    inspired by Vlad, the Impaler, another bloodthirsty Central European denizen!

  5. Liebe Uli,

    wie immer ein humoristisches und kriminalistisches Meisterwerk! Wie schön, dass ich direkt nach dir veröffentlicht habe und gar nicht suchen musste!

    Das Jahr fäng gut an, ich bin begeistert!

  6. Die Madonna mit Axt, der Teufel liegt im Detail, unglaublich. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.

    Gibt es in Wien echt so einen „Herrenclub“? Krass.

    Die Buch-Droge teilen wir definitiv.

    Wie immer extrem unterhaltsam und gleichzeitig lehrreich. Danke für Dein 12von12.

    Liebe Grüße Julia

    1. Danke, liebe Julia! Ich freue mich sehr, dass dir der Artikel gefällt. Ich hatte noch so viel mehr Material, z.B. die Blutgasse … aber da werde ich ein anderes Mal nochmals hinfahren.
      LG – Uli

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