Mittwoch, der 12. Juli 2023 ist der 193. Tag des gregorianischen Kalenders, somit bleiben 172 Tage bis zum Jahresende. Das Wetter in Wien ist heiß, sehr heiß. Wir befinden uns mitten in einer Hitzewelle. Heute klettert das Thermometer auf schwüle 34 Grad. Noch dazu ist es bewölkt, d.h. die Hitze wird noch drückender und liegt wie eine schwere Decke über der Stadt.
Vielleicht ist hier ein Umdenken notwendig und Psychologinnen und Coaches sollten sich eingehender mit „Sommerblues“ beschäftigen, als nur mantraartig immer auf „Herbstblues“ hinzuweisen. Ich würde mir heute so gern einen trüben, grauen und kühlen Tag wünschen. Die dunklen Herbsttage bringen Licht in meine Wohnung, während die hellen Sommertage sie verdunkeln.
Mitfühlende Freundinnen geben mir gut gemeinte Ratschläge, wie ich mich abkühlen kann. Geh doch an die Donau, geh ins wunderschöne Freibad Gänsehäufel, geh in einen der Parks oder Grünanlagen. Ich gebe es zu und es stimmt: Ich wohne in unmittelbarer Umgebung von all den Strandbädern, der Alten Donau, der Donauinsel, des Donauparks und des Nationalparks Donauauen. Ich habe es GUT!
Der Punkt ist: Ich weiß, wie ich mich abkühlen und vor der Hitze schützen kann. Ich trinke viel Wasser, Limettensaft und esse leichte Sommerkost mit viel Obst und Gemüse. Ich verdunkle meine Wohnung, sodass sie sich möglichst wenig aufheizt. Wenn ich hinausgehe, trage ich leichte Kleidung, einen Sonnenhut, Sonnenbrillen, Sonnenschutz, nehme Wasser mit, bleibe, so weit das möglich ist, im Schatten, meide extreme Anstrengungen. Ich habe mir sogar eine Saisonkarte für das Gänsehäufel genommen – und dennoch habe ich Lust – auf GAR NICHTS!
Der Grund, warum mich dieses Wetter so nervt und richtiggehend wütend macht, ist, dass es mich abhält, meiner Wege zu gehen und meine Aktivitäten so durchzuführen, wie ICH das will. Ich möchte in die City fahren (zu heiß), einen Kuchen backen (würde die Wohnung noch weiter aufheizen), das Fenster aufmachen, wenn mir danach zumute ist (bald muss ich alles verdunkeln), auf den Balkon gehen, wann immer ich es will (ab Mittag nur empfehlenswert, wenn man lebensmüde ist), usw. usf. Ich HASSE diese Restriktionen, die das heiße Wetter mir aufzwingt.
Ich weiß auch, dass meine negativen Gefühle irrational sind, denn wahrscheinlich sollte ich „mit dem Flow gehen“ und eben die Sachen machen, die man bei dieser Hitze machen kann. Dankbar sein, dass ich in einem Land wohne, wo ich mich vor der Hitze schützen kann und wo wir noch genug Wasservorräte haben. Das fällt mir jeden Sommer aber schwerer und schwerer.
Ich entschließe mich, dennoch ins Gänsehäufel zu fahren. Mit dem Rad ist die 33 Hektar große Badeinsel mit viel altem Baumbestand, Schatten und Strand direkt an der Alten Donau nur wenige Minuten von meiner Wohnung entfernt. Und schließlich habe ich auch die Saisonkarte.
Wermutstropfen: Aufgrund starker Hüftschmerzen habe ich nicht die Energie, meine Sonnenliege vom „Bettenlager“ zum FKK-Bereich zu transportieren. Und der FKK-Bereich ist normalerweise der einzige Bereich, wo an einem heißen Badetag Ruhe herrscht.
Auch heute ist der ausgedehnte FKK-Bereich noch sehr spärlich besucht, wenn man von den Schwänen und Enten absieht, die es sich hier immer gemütlich machen. Ich suche mir eine Bank im Schatten. Die ist zwar unbequem, aber für alles andere fehlt mir heute die Kraft.
Ich mache es mir auf meiner harten Bank so gemütlich wie möglich und hole mein Handtuch, meine Wasserflasche und den E-Book-Reader hervor. Derzeit lese ich den Kriminalroman „Schwarzlicht“ der schwedischen Autorin Camilla Läckberg. Im winterlichen Stockholm herrscht eisige Kälte. Der Mord, mit dem es Kommissarin Mina Dabiri zu tun hat, erscheint wie ein missglückter Zaubertrick. Daher entschließt sich die Ermittlergruppe um Mina Dabiri den Zauberkünstler und Mentalisten Vincent Walder als Berater hinzuzuziehen.
Im fiktiven Stockholm ist es zwar kalt, aber im realen Wien ist es auch im Schatten brütend heiß. Die Hitze liegt schwer und undurchdringlich über der Stadt. Es regt sich kein Grashalm und kein Blatt. In der Stadt, in der normalerweise immer der Wind weht, ist es heute windstill. Obwohl ich absolut keine Lust habe, nass zu werden, entschließe ich mich dennoch, ins Wasser zu gehen. Ich komme bis zu den Oberschenkeln, denn ich sehe, dass ich auf der Hüfte einen Kratzer habe, der angefangen hat leicht zu bluten. Es ist nur eine kleine Wunde, aber ich will sie dennoch nicht den Bakterien, die wahrscheinlich in der Alten Donau leben, aussetzen.
Während ich im Wasser stehe und meine Optionen überlege, kommt ein übereifriger und schon angejährter Vater mit seinem etwa zweijährigen Sohn Oskar ins Wasser und beschallt den gesamten Strand.
Wasser, Wasser, Wasser, Wasser, Platschi, Platschi, Platschi, Platschi, Wasser, Wasser, Wasser, Wasser, Platschi, Platschi, Platschi, Platschi röhrt der Vater so laut und platscht rhythmisch aufs Wasser, dass sich sogar das Kleinkind mit Verwunderung von ihm abwendet und mit seinen dünnen Ärmchen hinaus aus dem Wasser fliehen will. Und das, obwohl der Papa schreit: Ich bin’s, dein Papa, dein ERZEUGER!!! Diese Art von Kommunikation macht mich fassungslos.
Ich überlege kurz, ob ich dem Super-Papa den Kopf unter Wasser drücken soll. Ich bin sicher, dass ich mit Notwehr davon kommen und eventuell sogar dem Kind später langwierige Therapien ersparen könnte. Wahrscheinlich würde ich sogar von den anderen Badegästen und dem Bademeister Applaus ernten. Aber ich habe meinem Mann nun einmal versprochen, zurückhaltend zu bleiben und Kämpfen künftig aus dem Weg zu gehen.
Jetzt kommt auch noch die Mutter mit einem aufgeblasenen Einhorn (ich schwöre, das habe ich nicht erfunden!) ins Wasser. Während Super-Papa einen dicken Hängebauch hat, ist Einhorn-Mama so dünn, dass ich erst bei näherem Hinsehen verifizieren kann, dass es sich wirklich um eine Frau handelt. Altersmäßig könnte sie die Tochter von Hängebauch-Super-Papa sein, der wahrscheinlich auch Kinder im Erwachsenenalter hat. Jetzt reitet er am Einhorn. Das Kind schaut verlegen in die andere Richtung. Fast tut es mir ein wenig leid, dass ich hier nicht fotografieren kann.
Anmerkung: Ich bin mit meinen 60 Jahren beileibe kein Supermodel und es kümmert mich absolut nicht, wer welche Figur hat – mit einer Ausnahme: Wenn jemand wie ein röhrender Hirsch im seichten Wasser herumstolziert und LÄRM macht. Noch dazu Lärm im Kleinkindergeplapper-Modus, der sogar Kleinkinder abstößt. Gutschi, gutschi, guuuuuuuuu und platschi, platschi, plaaaaaaaa. Wer sich so verhält, den betrachte ich erbarmungslos und mit scharfem Blick; soweit mir das ohne Brille möglich ist.
Es wundert mich gar nicht, dass der berühmte Wiener Autor Ernst Hinterberger hier die Ideen für seine Kaisermühlen-Blues-Charaktere fand.
Ich habe vorerst genug vom Strand, meine Laune ist nur knapp über dem absoluten Tiefpunkt und ich beschließe ins Bistro zu gehen. Ich habe schon mein Kleid übergezogen und nehme zusätzlich noch mein Handtuch heraus. Wenn schon jemand nackt auf dem Stuhl gesessen hat, dann möchte ich nicht, dass mein Kleid davon in Mitleidenschaft gezogen wird. Ein Schild weist zwar unmissverständlich darauf hin, dass Handtücher verpflichtend sind, wenn man hier nackt sitzen möchte, aber sicher ist sicher. Ein kleines Bier erscheint das Getränk der Wahl.
Ich kann es kaum glauben, aber nur einige Minuten, nachdem ich mich mit meinem Bier hingesetzt habe, kommt auch die Einhorn-Familie angetrottet. Stalken die mich? Nachteilig wirkt sich jetzt aus, dass ich meine Brille aufgesetzt habe und daher den Familienvater in voller nackter Männlichkeit sehe, wie er beim Bistro laut seine Bestellung aufgibt. War er am Strand noch ein röhrender Hirsch, so erscheint er nun wie ein stolzierender Hahn.
Ich kann nicht umhin zu bemerken, wie mickrig sein Penis ist; die Größe ist offenbar diametral entgegengesetzt zum aufgesetzten und aufgeblasenen Ego des Mannes, das er offen zur Schau stellt. Ob er wirklich jemals etwas oder jemand ERZEUGT hat? Ich bezweifle es. Wer nun meint, ich unter- oder übertreibe, der irrt: Ich sitze hier unter nackten und Bier trinkenden Männern und habe daher einen guten Überblick und direkten Vergleich!
Meine Stimmung ist trotz Bier am Tiefpunkt und ich beschließe, eine ausgiebige Dusche zu nehmen. Eine Dusche, von der mein Mann immer behauptet, dass davon der Pegel der Donau sinkt. Das ist mir jetzt auch schon egal. Selbst wenn die Donau austrocknet, ich genieße das Wasser. Die Dusche tut mir gut und ich creme mich ausgiebig mit meiner Lieblingslotion ein. Ein kleiner Lichtblick, bevor ich mich zurück auf den Weg in meine abgedunkelte Wohnung mache.
Ein Blick ins Postkastl zeigt mir, dass ich die Wochenzeitschrift „Falter“ bekommen habe; die erste von 12 Ausgaben. Auch der Online-Zugang ist dabei. Es ist ein Geschenk an mich selbst und eine Unterstützung für den Falter. Später am Abend werde ich mich damit auf den Balkon setzen und hoffentlich eine Antwort auf die Frage am Titelbild „Wieso die FPÖ so stark ist“ finden. Mir ist das nämlich ein psychologisches Rätsel, denn diese Partei hat niemals etwas für die sogenannten „kleinen Leute“ gemacht.
Fast alle Parteigrößen haben sich ungeniert das Geld in die Taschen gesteckt und sind vor Gericht gelandet und verurteilt worden. Protest? Ja, es gibt viele Sachen, die verbesserungswürdig sind. Aber aus „Protest“ eine Partei zu wählen, die außer „dagegen“ zu sein, absolut nichts drauf hat, ist für mich unverständlich.
Freibad, Bier und Gedanken über das Wahlverhalten machen mich hungrig. Heute gibt es bei mir einen leckeren Salat. Rucola, Tomaten, Minigurken, Basilikum, Mozzarella. Dazu ein Glas Roter Bio-Muskateller.
Beim Kochen und Hausarbeit machen höre ich immer wieder gerne Podcasts. Einer der Podcasts, die ich wegen der akribischen Recherche sehr schätze und regelmäßig höre, ist „Zeit Verbrechen„. Heute sehe ich, dass eine neue Folge herausgekommen ist. Es handelt sich um einen Amoklauf, der erst 2023 begangen wurde.
Am Abend mache ich noch einen Spaziergang zur Alten Donau. Die Wolken sind dramatisch. Inzwischen weht auch ein leichter Wind, dennoch ist es immer noch brütend heiß. Es ist keine Abkühlung in Sicht und es wird uns voraussichtlich eine Tropennacht bevorstehen. Es sei denn, es entladen sich Unwetter über der Stadt.
Wenn du bis hierher gelesen hast und dir meine 12-von-12-Geschichten gefallen -> es gibt noch mehr davon. Viel mehr! An jedem 12. des Monats dokumentiere ich seit dem 12. Juni 2021 diesen Tag mit 12 Bildern. Aber schau einfach selbst!